Grußwort von Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, gehalten auf dem Festakt zum 25jährigen LSVD-Jubiläum am 25. April 2015
Liebes Geburtstagskind,
liebe Jubilare,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
liebe „Homo-Lobby“!
25 Jahre LSVD sind eine Erfolgsgeschichte!
Als die Grundsteine für diesen Verband gelegt wurden im Jahr 1990, da galt Homosexualität in Deutschland noch als sittenwidrig und der § 175 war noch Teil des bundesdeutschen Strafrechts. Heute, 25 Jahre später, ist ein Unrechtsparagraph, der Homosexualität als solche unter Strafe stellt, nicht mehr denkbar. Lesben und Schwule haben längst fast alle Lebensbereiche dieser Gesellschaft erobert und zwar out and proud. Das, liebe Frauen und Männer des LSVD, hat auch wesentlich mit Euch zu tun!
Deshalb sage ich heute zum vielleicht wichtigsten Verbandprojekt der letzten Jahrzehnte:
Herzlichen Glückwunsch, lieber LSVD, Du bist aus Deutschland, aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken! Der LSVD ist Teil und Ausdruck unserer vielfältigen und bunten und freien Demokratie, und das zeigt sich auch darin, dass mindestens eine amtierende Bundestagsvizepräsidentin stolzes Mitglied in diesem Verein ist.
Eigentlich ist es ja nicht zu fassen, dass aus einem Haufen zerstrittener Schwulenbewegter, der die Gesellschaft als feindlich und den Staat als Gegner erlebt hat, eine so staatstragende und seriöse Veranstaltung geworden ist, die heute selbst einen so wichtigen Anteil am friedlichen Zusammenleben in diesem Land hat und im wörtlichen und besten Sinne „staatstragende“ Aufgaben übernimmt, von der Aufklärung über die Rechtsberatung in allen Lebenslagen bis hin zur praktischen Menschenrechtsarbeit und Interessenspolitik als Lobbyverband. Aber diese Erfahrung der Veränderung, die bei mir inzwischen zu einer lebensbegleitenden gehört, zeigt natürlich eines: Dass nicht nur Ihr Euch verändert habt in den vergangenen 25 Jahren, sondern dass vor allem Ihr mit dazu beigetragen habt, dass sich dieses Land verändert hat – und zwar zum Positiven.
Dem LSVD ist oftmals vorgeworfen worden, zu anpasslerisch, ja fast schon zu opportunistisch und etabliert zu sein. Der Weg, den ihr eingeschlagen habt, Euch für die volle Gleichstellung und für gleiche Rechte aller Lebens- und Liebesformen einzusetzen, war und ist bis heute nicht unumstritten. Doch genau darum geht es, liebe Freundinnen und Freunde, wenn man den ersten Artikel unseres Grundgesetzes wirklich ernst meint: Die Würde des Menschen ist unantastbar; und dazu noch der Grundsatz: Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Darauf fußt unsere Demokratie, darauf fußt das Verständnis unserer Gesellschaft. Ihr habt mit Eurer Idee und Euren Zielen diese Grundsätze einfach ernst genommen – nicht mehr, und nicht weniger.
Ihr habt Euch entschieden, zunächst für Schwule – seit 1999 auch für Lesben und inzwischen auch für Transmenschen – das Versprechen unserer Demokratie, unseres Grundgesetzes einzulösen.
Und genau darum geht es! Ihr wisst selbst am allerbesten, dass auf dem Weg hin zu den gleichen Rechten mitnichten bereits alles erreicht ist. Ihr wisst, dass es weiterhin politischen Widerstand gegen eine volle Gleichstellung gibt, der sich jedoch gesellschaftlich längst nicht mehr rechtfertigt. Es ist echt zum Haareraufen! Auch warten die Opfer des § 175 bis heute auf eine angemessene Anerkennung, auf Rehabilitierung und Entschädigung.
Doch es gibt neue Themen, denen sich der LSVD und die gesamte Bewegung zusammen mit der demokratischen Mehrheit widmen muss:
— Wenn sogenannte „besorgte Eltern“, aufgescheucht und mobilisiert von einer gefährlichen Rechtsaußen-Vereinigung wie der so harmlos daherkommenden „Zivilen Koalition“, zu Hunderten auf die Straße gehen und offen gegen Lesben, Schwule, Transmenschen und den gesamten „Genderwahn“ hetzen,
— wenn in Dresden immer noch bis zu 7000 Menschen am Montagabend zusammenkommen, um gegen Flüchtlinge, Ausländer, die „Lügenpresse“, die „Homo-Lobby“ (das seid Ihr!), gegen den „Terror der schwulen, lesbischen, queeren sexuellen Minderheit“ anzubrüllen,
— oder wenn Personen wie Birgit Kelle, Matthias Matussek oder Akif Pirinçci ihre ausgrenzenden und diskriminierenden Botschaften in öffentlich-rechtlichen Talkshows verbreiten können,
— dann muss klar sein, wer die eigentliche Minderheit und wer die Mehrheit in diesem Land verkörpert.
Und eine Stimme dieser Mehrheit seid ihr, lieber LSVD! Diese Stimme muss auch zu hören sein, wenn jetzt Tausende Menschen auf dem Mittelmeer ertrinken, auch, weil einige davon vielleicht aus ihrem Heimatland vertrieben wurden, weil sie leben und lieben wollen, wie sie sind. Und diese Stimme muss sich erheben, wenn Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Identität verfolgt werden, bei uns einfach abgewiesen werden, weil ihr Land vielleicht gerade zu einem sicheren Herkunftsland erklärt wurde.
Und deshalb wünsche ich mir von Euch zu Eurem 25. Geburtstag eine kämpferische Gegenwart und Zukunft für all das, was wir gemeinsam noch erringen müssen – hier bei uns, aber eben auch weltweit in globaler Solidarität innerhalb der LGBTI-Community.
Und ich wünsche mir aber eben auch einen weiterhin kämpferischen LSVD für all das, was Ihr in 25 Jahren schon erreichen konntet und was unbedingt zu verteidigen ist.
Vielen Dank!