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Erst wenn Kirchen sichere Orte für LSBTIQ* sind, ist das Recht auf Religionsfreiheit gewährleistet

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We believe in change 2023, Poster Vorderseite, ©Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Wir leben in einer Welt, in der es die unausgesprochene Annahme gibt, dass Menschenrechte nur für Heterosexuelle gelten. Diese eklatante Lücke im Menschenrechtsschutz betrifft auch das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit. So werden die Menschenrechte von queeren Menschen, also Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans*- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTIQ*) im Namen von Religion negiert oder eingeschränkt, die Religion zu politischen Machtzwecken instrumentalisiert und LSBTIQ* systematisch an ihrem Recht auf Ausübung des Glaubens gehindert. Wie das zu ändern ist, war das Thema des Projekts „We believe in change“ der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Hier sind die Projektergebnisse in zehn Thesen zusammengefasst:

These 1: Es gibt nur eine Welt und nicht zwei Welten.

Queer sein und religiös sein ist im Alltag unserer Projektpartner*innen eins. Die Gegner*innen behaupten, Religion und LSBTIQ* seien unvereinbar. Religiöse LSBTIQ* werden aus ihren Gemeinden verstoßen. Das führt zu Verlassenheit und Trostlosigkeit. Wir dürfen diese Spaltung nicht zulassen. Wir müssen die falschen und gefährlichen Narrative entlarven. Religion und LSBTIQ* sind nicht zwei verschiedene Welten, es geht um eine Welt. Queere Gläubige sind überall.

These 2: Kirchen müssen Teil der Lösung werden – und nicht länger Teil des Problems.

Viele Kirchen haben ein Problem mit Homosexualität, Trans*geschlechtlichkeit und allen Genderthemen. Aber liegt es an der Religion?Fakt ist:Religion wird immer wieder zur Legitimation von Verfolgung und Diskriminierung missbraucht. Der sambische Theologe Kapya Kaoma spricht von einer „Kampagne“ US-amerikanischer Konservativer, die erfolgreich eine beträchtliche Anzahl prominenter „African religious leaders“ rekrutiert hat und die darauf abzielt, die Menschenrechte von LSBTIQ* einzuschränken. Infolgedessen nehmen Homosexuellen‑, Bisexuellen- und Trans*feindlichkeit in Afrika zu – von vermehrten Gewalttaten bis hin zu Anti-LSBTIQ*-Gesetzen, welche im Extremfall auch die Todesstrafe vorsehen. Auch in der UN wird das Recht auf Religionsfreiheit instrumentalisiert und wie ein „Stoppschild“ (Prof. Dr. Heiner Bielefeldt, Menschrechtsexperte) gegen die Rechte von Frauen und LSBTIQ* eingesetzt.

These 3: Keine Gewalt! Verständigung auf den Minimalkonsens ermöglichen.

Die Weltkirchen stehen vor riesigen Herausforderungen – gerade die Haltung zu LSBTIQ* und zu den Rechten von Frauen sind die größten Bruchstellen. Manche sagen: „Es dauert Jahre, bis sich da etwas ändert.“ Aber nur abzuwarten, ist unterlassene Hilfeleistung. Die christliche Religion basiert auf Nächstenliebe, so können Kirchen Teil der Lösung werden. Ein Element muss sein, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu verständigen, der heißt: Keine Gewalt! Gewalt steht im Widerspruch zur christlichen Botschaft.

These 4: Keine Entwicklungshilfe für Beteiligung an Verfolgung.

In Deutschland wird humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit zu einem großen Teil von kirchlichen Organisationen durchgeführt. Vor Ort treffen diese immer wieder auf Vorbehalte und Hass gegenüber LSBTIQ*. Deshalb braucht es Gegenstrategien. So ist für die kirchlichen Hilfs- und Missionswerke in Deutschland Aufstachelung zur Gewalt gegen LSBTIQ* die rote Linie. Auch Aktivist*innen aus dem Globalen Süden fordern: Kein Geld für Organisationen, die Verfolgung unterstützen.

These 5: Kulturen der Offenheit erkennen.

Göttinnen, Foto: Claudia Reinhardt, ©Hirschfeld-Eddy-Stiftung

In allen Religionen gibt es auch eine Tradition der Wertschätzung und der Offenheit gegenüber der Vielfalt menschlicher Lebensformen. Selbst bei den Evangelikalen. Und es gibt weltweit immer mehr queere Gemeinden, die sich als Reaktion auf Ausgrenzung und Ausschluss bilden. Es ist wichtig, sie zu kennen und zu unterstützen. Inklusive Gemeinden und queere Gemeinden sind sichere Orte.

These 6: Kirchliche Arbeit sollte dekolonial und antirassistisch sein.

Homosexuellen‑, Bisexuellen- und Trans*feindlichkeit sind auch ein Erbe des europäischen Kolonialismus und der christlichen Missionierung. Studien zeigen: Präkoloniale Gesellschaften waren vielfach offener. Deshalb mussdie kritische Auseinandersetzung mit dieser Geschichte immer ein Element der kirchlichen Arbeit im Globalen Süden und der gesamten Entwicklungszusammenarbeit sein.

These 7: Der Wunsch nach Emanzipation kommt aus allen Ländern der Welt.

Es ist falsch und gefährlich zu behaupten, dass ausgerechnet der Kampf für die Menschenrechte von LSBTIQ* oder für Frauenrechte Teil einer unterdrückerischen, neokolonialen Agenda sei. Es ist falsch, weil dieser Kampf im Globalen Süden selbst geführt wird und der Wunsch nach Emanzipation aus den einst kolonisierten Bevölkerungen hervorgeht. Das zu leugnen, spricht ihnen Handlungsmacht ab. Es ist gefährlich, weil es den Autoritären in die Hände spielt. Sie nutzen dieses Narrativ, um den Einsatz westlicher Staaten für die Menschenrechte pauschal zu diskreditieren. Das zielt darauf ab, die Menschenrechte und liberale Demokratien grundsätzlich infrage zu stellen und zu schwächen.

Richtig ist: Die Forderung, als gleichwertiger Mensch mit vollen Rechten anerkannt zu werden – unabhängig von der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität und den Geschlechtsmerkmalen – kommt aus allen Regionen und Ländern der Welt.

These 8: Theologische Antworten auf theologische Fragen

Bei echten religiösen Vorbehalten helfen nur religiöse Argumente, wie etwa vermittelt in einem Workshop „Mit der Bibel gegen Homophobie“. Solche Angebote gibt es in Deutschland, aber auch zum Beispiel in Ruanda. Drei interreligiöse Netzwerke auf dem afrikanischen Kontinent sind hier zu empfehlen: Das Global Interfaith Network for People of All Sexes, Sexual Orientations, Gender Identities & Expressions GIN SSOGIE, das Interfaith Network in Westafrica IDNOWA und die Inclusive Affirming Ministries IAM. Alle arbeiten daran, diskriminierende Narrative auf der Grundlage religiöser Schriften zu widerlegen.

Absperrung, Foto: Claudia Reinhardt, , ©Hirschfeld-Eddy-Stiftung

These 9: Prediger des Hasses sind aktiv, wir brauchen mehr Prediger der Liebe.

Der wichtige gesellschaftliche Wandel wird nur gemeinsam mit religiösen Autoritäten erreicht. Der südafrikanische Geistliche Desmond Tutu hat in wunderbarer Weise gezeigt, was das bedeutet. Er sagte einmal, er würde lieber in die Hölle gehen als in einen homophoben Himmel. Tutu ist das beste Beispiel dafür, wie wichtig Prediger der Liebe sind – wir brauchen „religious leaders as agents of change“.

These 10: In einer stark polarisierten Diskussion braucht es persönliche Begegnungen.

Die Köpfe und Herzen der Menschen sind nur im direkten Austausch zu gewinnen – gegen die Dämonisierung von LSBTIQ* helfen persönliche Begegnungen. Das Thema brennt überall und die Weltkirchen drohen zu zerbrechen. „Wenn wir als Christen beieinanderbleiben wollen, müssen wir im Dialog sein“, formulierte ein Theologe in einer unserer Veranstaltungen. NGOs in vielen afrikanischen Ländern bieten Workshops für religiöse Autoritäten und queere religiöse Menschen an. Oft begegnen sich die beiden Perspektiven dort zum ersten Mal. Eine religiöse Autorität wurde nach einem Workshop wie folgt zitiert: „Erst jetzt ist mir klar geworden, dass es sich um Menschen handelt.“

Die Menschheit kam aus Afrika, also kamen auch LSBTIQ* aus Afrika.“
Davis Mac-Iyialla, IDNOWA, Ghana, HES-Konferenz in Osnabrück 2023

Den abgedroschenen Mythos begraben“

Entwicklungen in der Gegenwart und in der Geschichte zeigen, dass es für die Afrikaner*innen Zeit wird, den abgedroschenen Mythos zu begraben, dass Homosexualität ‚unafrikanisch‘ ist. (…) Ironischerweise sind die dominierenden judäo-christlichen und arabischen Religionen, auf die sich die meisten afrikanischen Gegner von Homosexualität stützen, ausländische Importe.“ Sylvia Tamale, Uganda, 2003

Wir sind die andere religiöse Stimme in Afrika.“

Seit 28 Jahren bemühen wir uns, eine konstruktive und alternative religiöse Stimme in Afrika zu sein, die an den Schnittstellen von Geschlecht, Sexualität, Gesundheit und Religion arbeitet, sowie die Rechte und Freiheiten von LSBTIQ* in Glaubensgemeinschaften fördert. Wir arbeiten derzeit mit Partner*innen in Namibia, Lesotho, Malawi, Botswana, Simbabwe, Sambia, Ghana, Kenia und Uganda.

Alle unsere Aktivitäten, ob groß oder klein, zielen darauf ab, religiös motivierte Homo‑, Bi- und Transphobie zu beseitigen. (…) Wir wollen ‚Agent*innen des Wandels‘ zum Handeln befähigen.“ Ecclesia de Lange, Inclusive Affirming Ministries (IAM), Südafrika, HES-Konferenz in Osnabrück 2023

Mit der Bibel gegen Homophobie“

Die Kirche bekräftigt, dass alle Menschen einen heiligen Wert haben und vor Gott gleich wertvoll sind. Sie ist verpflichtet, allen Menschen zu begegnen und ihnen zu dienen. Die Kirche bittet Familien und Kirchen, lesbische und schwule Mitglieder und Freunde nicht abzulehnen oder zu verurteilen. Hier in meinem Land zögern die Kirchenführer aufgrund der ruandischen Gesellschaft, Kultur und Bibelauslegungen, eine Entscheidung über die Einbeziehung von LSBTIQ* zu treffen. Ich vertrete nicht meine Kirche, [wenn ich das sage], aber ich sehe, dass einige von ihnen anfangen zu verstehen, dass LSBTIQ* einfach existieren. Es ist ein Prozess. Lasst uns an den Wandel glauben. Gott ist auf unserer Seite.“ Reverend, Ruanda, HES-Webtalk 2023

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We believe in change 2023, Poster Rückseite, ©Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Religion und Spiritualität müssen allen gleichermaßen offenstehen. Es zeichnet uns Menschen aus, dass wir nach Sinn und Zusammenhängen suchen, uns im Glauben oder in Weltanschauungen orientieren und gemeinsam durch das Leben gehen. Dieses zutiefst menschliche Bedürfnis schützt das Menschenrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit (siehe Die edlen Freiheiten werden instrumentalisiert).

We believe in change – Neue Perspektiven für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit

Seinen Glauben gemeinsam mit anderen praktizieren zu können, ist besonders dort wichtig, wo Religion im Alltag eine existenzielle, nicht zu negierende Rolle spielt – wie beispielsweise in den meisten Ländern und Regionen auf dem afrikanischen Kontinent.

Aber gerade dort wird Millionen von Menschen das Recht auf Religionsfreiheit verwehrt. Sie werden aus Gemeinden und Kirchen ausgeschlossen, von Familien verstoßen und dämonisiert – oder gar verfolgt. Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* — und intergeschlechtliche, nicht-binäre und nicht-konforme Menschen unterschiedlicher Geschlechter sind in vielen Staaten der Welt eine religiös verfolgte Minderheit: Obwohl sie den Glauben teilen, werden sie von Predigern des Hasses als sündig markiert, und so Verachtung und Gewalt ausgeliefert (siehe Ist meinen Mitchristen das Ausmaß des Schades bewusst?).

Die Spuren dieser vermeintlich christlichen Praxis führen zurück zu den grausamen, rassistischen und menschenverachtenden Ideologien der von Europa ausgehenden Kolonialisierung und Missionierung (siehe Das Erbe deutscher Missionare in Tansania). Die christlichen Missionswerke in Deutschland sind sich dieser furchtbaren Tradition bewusst und haben sich vorgenommen, dass Kirchen sichere Orte für alle Marginalisierten sein müssen (siehe Churches should be a safer space).

Auf den ideologischen Relikten des europäischen Kolonialismus aufbauend sind es heute fundamentalistische, imperialistische und neokoloniale Gruppen aus Nordamerika und Russland, die mit viel Kapital Vorurteile schüren, die christliche Religion instrumentalisieren und LSBTIQ* zu Sündenböcken machen (siehe US-Evangelikale beeinflussen die Gesetzgebung in Uganda, Mit afrikanischen Religionsführern die eigene Position stärken und Die Russische Orthodoxe Kirche in Afrika).

Trotz der hoch problematischen und für viele lebensgefährlichen Situation gibt es Hoffnung: Denn, so der Aktivist S. aus Uganda: „Afrika ist auch der Kontinent der Versöhnung.“ (siehe Für Afrika ist der Weg zu religiöser Harmonie denkbar).

Die Hirschfeld-Eddy-Stiftung hatte ein Jahr lang die Gelegenheit, mit Kirchenvertreter*innen und queeren Aktivist*innen aus dem Globalen Süden und Norden in persönlichen Begegnungen und Online-Dialogen dieses komplexe Gefüge zu analysieren und gemeinsame Perspektiven für Menschenrechte und Freiheit zu entwickeln. Die Ergebnisse des Projektes „We believe in change“ finden sich auf diesem Poster zusammengefasst. Die entwickelten zehn Thesen (siehe Vorderseite) zeigen eindeutig:

Erst wenn Kirchen, Gemeinden und die Institutionen des Glaubens sichere Orte für LSBTIQ* sind, ist das Recht auf Religionsfreiheit gewährleistet.

Die edlen Freiheiten werden instrumentalisiert

Die Achtung des Rechts aller Menschen auf Gedanken‑, Gewissens- und Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist ein Muss; gleichzeitig sind alle Beteiligten dafür verantwortlich, festzustellen, wann diese edlen Freiheiten in der Vergangenheit instrumentalisiert wurden – und weiterhin werden –, um Gewalt und Diskriminierung gegen lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und geschlechtsdiverse Personen zu fördern, aufrechtzuerhalten oder zu verschärfen.“ Unabhängiger Experte der UN für den Schutz vor Gewalt und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität

Engel, Foto: Claudia Reinhardt, , ©Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Ist meinen Mitchristen das Ausmaß des Schades bewusst?

Als afrikanischer Geistlicher mit einem besonderen Interesse an Ethik und Menschenrechten finde ich es beunruhigend, wenn Christen die Religion dazu benutzen, zu zerstören, anstatt aufzubauen. Bei meinen Kontakten mit Menschenrechtsaktivist*innen in verschiedenen afrikanischen Ländern frage ich mich, ob sich meine Mitchristen des Ausmaßes des Schadens bewusst sind, den sie auf dem Kontinent anrichten. Ich weiß, dass wir das Recht haben, unterschiedlicher Meinung zu sein, aber es ist unmoralisch, die Autorität der Religion zu benutzen, um das Leben Unschuldiger zu zerstören. Jesus, das Zentrum meiner Religion, lehrte Liebe und nicht Hass gegenüber dem Nächsten. Die schwule Person oder die junge Frau, die verteufelt wird, ist sicherlich das Ebenbild Gottes.“ Kapya Kaoma: Colonizing African values. How the U.S. Christian Right is transforming sexual politics in Africa, 2012

Das Erbe deutscher Missionare in Tansania

Die Bischöfe der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania (ELCT) formulierten im Jahr 2010 die sogenannte Dodoma-Erklärung. Darin verurteilten die Bischöfe Homosexualität als ‚unafrikanisch‘ und Ausdruck einer unmoralischen westlichen Moderne. Die ELCT ist mit sieben Millionen Mitgliedern die zweitgrößte Lutherische Kirche der Welt.

Gegründet wurde die ELCT vor mehr als 100 Jahren von deutschen protestantischen Missionaren der Bethel‑, Berliner und Leipziger Mission während der deutschen Kolonialzeit. (…) Besonders der Begriff der ‚Sittlichkeit‘, der in den Quellen immer wieder auftaucht, spielte (für die Missionare) als Bewertungsmaßstab der indigenen Verhältnisse eine wichtige Rolle. Ihm lag ein christliches Verständnis von Naturrecht zugrunde, das Sexualität ausschließlich zur Familiengründung und Fortpflanzung innerhalb der monogamen, heterosexuellen Ehe legimitierte. (…)

Absperrung 2, Foto: Claudia Reinhardt,  ©Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Die in ihren Missionsgebieten weit verbreitete Polygamie verstanden die Missionare als heidnisch und unvereinbar mit einer christlichen Sittlichkeit. (…) Grundsätzlich galt für die Missionare alle Sexualität, die außerhalb der monogamen heterosexuellen Ehe ausgeübt wurde, als ‚Unzucht‘. Insgesamt gingen die Missionare von einer ‚afrikanischen Sexualität‘ aus, die sie als ‚primitiv‘ und ‚sinnlich‘ verstanden. (…) Ausgehend von der christlichen, monogamen Ehe sollte das gesamte zu missionierende Volk erneuert werden. Nur ein kompletter Bruch mit der Vergangenheit führte hier in die gottgewollte (sexuelle) Ordnung.

Gegen diese Bewertung von ‚afrikanischer Sexualität‘ als schmutzig und sündhaft wehren sich heute die Bischöfe der ELCT und verorten im Gegenteil die sexuelle Unmoral in ihren westlichen Partnerkirchen, in denen heute gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt sind. Deutlich sieht man hier also auch einen Moment der postkolonialen Identitätsbildung – ausgetragen auf dem Rücken von LSBTIQ* in Tansania und auf dem Kontinent.“ Charlotte Weber, Universität Münster, HES-Blog 2023

Churches should be a safer space

„We affirm the continuing legacies of colonization and colonial thinking in our ways of relating as Children of God and commit to engage both separately and collectively with the ecumenical agendas of decolonization and reparations. (…) Churches should be a safer space for all marginalized including people of the LGBTQ+ community. The task of the churches is to take a stand against all forms of violence. Any form of incitement to violence was seen as a red line. Misinformation that leads to social marginalisation or even suicide is contradicting the Gospel of Jesus Christ. In confronting as well all forms of racism and xenophobia, it is imperative to be guided by the liberating message of the Bible, which shows us ways to a respectful coexistence.“ Aus: Ecumenical dialogue on LGBTQ+ realities. Insights from a conference at the Mission Academy in Hamburg, 2023

US-Evangelikale beeinflussen die Gesetzgebung in Uganda

Die absichtlich zerstörerische Bewegung evangelikaler Anti-LGBTIQ+-Kirchen im gesamten Globalen Süden, einschließlich Uganda, Ghana, Kenia und Nigeria, hat zu diskriminierenden Gesetzen geführt, die das Leben von sich als queer identifizierenden Menschen, deren Freund*innen und Verwandten gefährden. Diese religiösen Einrichtungen bedienen sich absichtlich aufstachelnder Interpretationen des Glaubens, die ein Narrativ der Homophobie und Transphobie kultiviert haben, das wiederum die Flammen der Diskriminierung und Gewalt gegen unsere Gemeinschaft anfacht. (…) Das berüchtigte Gesetz ‚Kill the Gays‘ aus dem Jahr 2009 in Uganda, das ursprünglich die Todesstrafe für Homosexualität vorsah, bevor es von den Gerichten aus technischen Gründen des Quorums für ungültig erklärt wurde, enthüllte den heimtückischen Einfluss von Personen wie dem amerikanischen Evangelikalen Scott Lively und seinen Mitarbeiter*innen in Uganda, wie Steven Langa vom Family Life Network und Pastor Martin Ssempa. (…) Bedauerlicherweise ist es diesen Kräften nun gelungen, die Verabschiedung eines noch drakonischeren Anti-LGBTIQ*-Gesetzes zu bewirken, das möglicherweise zu den härtesten der Welt gehört und lebenslange Haftstrafen und sogar Todesurteile für wiederholte Verurteilungen wegen gleichgeschlechtlicher Intimität vorsieht. (…) Es ist unsere Pflicht, diesen gefährlichen Ideologien mit unerschütterlicher Entschlossenheit entgegenzutreten.“ S., Aktivist aus Uganda, HES-Konferenz in Osnabrück 2023

Mit afrikanischen Religionsführern die eigene Position stärken

US-amerikanische Konservative, die innerhalb der großen Kirchen in der Minderheit sind, sind auf afrikanische Religionsführer angewiesen, um ihre Positionen zu legitimieren. Die Intensität der daraus resultierenden Debatten fördert die sehr reale Gefahr einer Spaltung der weltweiten Kirchen, insbesondere der anglikanischen Gemeinschaft, von der die Episkopalkirche der USA ein Teil ist. Konservative US-Evangelikale spielen eine wichtige Rolle bei der Förderung der Homophobie in Afrika, indem sie ihre Ansichten verbreiten und eine konservative Bildungs‑, Sozialdienst- und Finanzinfrastruktur etablieren.“ Kapya Kaoma: Globalizing the Culture Wars – U.S. conservatives, African Churches & Homophobia, Political Research Associates 2009

Die Russische Orthodoxe Kirche in Afrika

Seit Januar 2022 hat die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) offiziell eine Kirchenstruktur für ganz Afrika gegründet. Diese Struktur widerspricht dem orthodoxen Kirchenrecht, dementsprechend orthodoxe Kirchen keine Strukturen auf dem Territorium einer anderen Kirche gründen dürfen. Laut der russischen Kirche gibt es jedoch in Afrika keine gültige orthodoxe Kirche mehr, seit das Patriarchat von Alexandrien die Orthodoxe Kirche der Ukraine anerkannt hat und damit – aus Sicht der ROK – keine gültige Kirche ist. Tatsächlich begann die Ausbreitung der ROK in Afrika früher und durch die diplomatischen Vertretungen Russlands. Nun aber kauft sie sich nachweislich aktiv und selbstständig in die afrikanischen Länder hinein – aktuell gibt es Gemeinden in 25 afrikanischen Ländern.

Dies wird die religiöse Landschaft verändern, denn die russische Kirche überzeugt die Menschen nicht nur mit viel Geld – für Kirchbauten, Priestergehälter und humanitäre Produkte – sondern auch mit dem Narrativ der westlichen Werte-Kolonisierung, und als Schutzmacht verfolgter Christen. Die erste Priesterweihe des Exarchats erhielt ein Priester aus Uganda – bei der Weihe ebenfalls anwesend war der katholische Bischof von Rabat in Marokko. Die ROK vereinnahmt gezielt die Religionsfreiheit. Ich bin mir unsicher, inwieweit kirchliche Hilfswerke verstehen, mit wem sie es in Zukunft in ihrer Arbeit in Afrika zu tun haben werden – und ob sie eine Strategie haben, damit umzugehen?“ Prof. Dr. Regina Elsner, Universität Münster, HES-Konferenz in Osnabrück 2023

Für Afrika ist der Weg zu religiöser Harmonie denkbar

Für Afrika, einen Kontinent, der während der Kolonialisierung weitgehend das Christentum und andere Religionen übernommen und dabei die ursprünglichen spirituellen Praktiken aufgegeben hat, ist der Weg zu religiöser Harmonie denkbar/möglich. Die religiösen Institutionen, die sich von den Grundsätzen der Liebe und Akzeptanz entfernt haben, möchte ich bitten, sich zu besinnen. Überdenken Sie die Botschaften, die Sie an Ihre Gemeinden weitergeben, denn es ist Ihre moralische Pflicht zu heilen und nicht zu schaden.

Wenn wir (…) zusammenkommen, wollen wir uns über die verschiedenen Herkünfte und Hintergründe hinweg dazu verpflichten, Erzählungen zu entlarven, die Diskriminierung aufrechterhalten. Lassen Sie uns für eine Zukunft arbeiten, in der die Grundsätze des Mitgefühls und der Akzeptanz über Intoleranz und Hass triumphieren. Gemeinsam können wir ein Vermächtnis der Einheit hinterlassen, in dem die Lehren der Geschichte uns den Weg zu einer Welt weisen, in der die der Schöpfung Gottes innewohnende Vielfalt geachtet wird. Denn Gott hat alle Dinge bei ihrer Erschaffung für schön erklärt.“ S., Aktivist aus Uganda, HES-Konferenz in Osnabrück 2023

Fotos: Claudia Reinhardt

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Publikation im Rahmen des ProjektsWe believe in change“: Menschenrechte im Spannungsfeld von Religionsfreiheit und Nicht-Diskriminierung der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Alle Blogbeiträge zum Projekt finden sich unter dem Tag WBIC-2023.

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