Dokumentation der Rede von Alfonso Pantisano (LSVD-Bundesvorstand) auf der Abschlusskundgebung des CSD SaarLorLux 2019 am 09. Juni 2019.
Liebe Saarländerinnen und Saarländer,
die Ehe für gleichgeschlechtige Paare ist mittlerweile zwei Jahr alt und ich habe gute Nachrichten zu übermitteln: Die Erde dreht sich seitdem tatsächlich weiter! Einfach so! Denn was haben wir uns über Jahrzehnte alles anhören müssen – dass die Welt untergehen würde, dass uns ein Tsunami oder Erdbeben oder sogar eine schlimme Seuche für unsere Liebe bestrafen würde. Und doch stehen wir alle heute hier und feiern das Leben und vor allem unsere Liebe. Unsere Liebe, die so bunt ist, wie der Regenbogen. Unser Leben, auf das wir so wahnsinnig stolz sind!
Und genau aus diesem Grunde rufe ich Euch heute, 50 Jahre nach Stonewall, mit großer Freude zu: Herzlichen Willkommen zu unserem Christopher Street Day.
Als die ersten CSDs die Straßen unseres Landes eroberte, mussten sich Homosexuelle noch sagen lassen: „Schade, dass man euch Schwule und Lesben nicht alle vergast hat“.
Der Paragraph 175 war noch der große Feind unserer Liebe, der ganz viele Schicksale, Familien und vor allen Dingen sehr, sehr viele Männer auf dem Gewissen hatte. Und ja, seitdem hat sich bei uns in Deutschland sehr viel getan — Der 175er wurde nach der Wiedervereinigung abgeschafft, dann kam die Eingetragene Lebenspartnerschaft.
Später hat dann das Bundesverfassungsgericht sehr viele Korrekturen vornehmen müssen und unsere Regierungen regelrecht gezwungen, an vielen Stellen moderner und weltoffener zu werden – aber vor allen Dingen gerecht zu werden, so wie es unser Grundgesetz seit jeher verlangt.
Und ja, dann kam die sehr späte und halbherzige Rehabilitierung der Opfer des Paragraphen 175 und letztes Jahr dann die lang ersehnte Ehe für Alle.
Mein Dank gilt an dieser Stelle allen Menschen, die sich seit über 40 Jahren dafür eingesetzt haben und immer noch einsetzen, dass wir heute in Deutschland unserem gemeinsamen Ziel näher gerückt sind, vor dem Gesetz gleich behandelt zu werden.
Doch – obwohl sich schon viel getan hat, müssen wir heute immer noch für Gleiche Rechte kämpfen.
Seit Jahren fordern wir unsere Politik auf, endlich das Grundgesetz zu ändern. Unser Artikel 3 des Grundgesetzes hat eine Lücke, die uns Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Intersexuelle jederzeit angreifbar macht. Denn unser Artikel 3 sagt, dass niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Das ist schön und gut – und auch wichtig. Aber in dieser langen Aufzählung des Menschseins fehlen fünf Worte, fünf Worte, die aber die Unantastbarkeit der Würde aller Bürgerinnen und Bürger garantiert und unsere Demokratie stärkt.
Wir sind uns vermutlich alle einig, dass niemand wegen seiner sexuellen oder geschlechtlichen Identität bevorzugt oder benachteiligt werden soll. Doch unsere Politik weigert sich seit Jahren diese Selbstverständlichkeit in unser Grundgesetz zu schreiben.
Dabei frage ich mich immer wieder, warum das so ist. Und dann komme ich zu einer Schlussfolgerung: Diejenigen, die sich weigern Menschen wegen ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität im Grundgesetz zu schützen, wollen sich und ihren Wählerinnen und Wählern ein sperrangelweites Tor zur Homophobie offenhalten. Sie wollen sich das Recht erhalten, immer dann, wenn es ihnen passt, gegen uns zu hetzen. Und diejenigen, die das Grundgesetz nicht ändern wollen, haben noch was anderes im Hinterkopf: Wenn sich die Stimmung in unserem Land für Minderheiten noch weiter verschlechtert, dann könnten sie viel einfacher uns unsere bisher erreichten Rechte wieder entziehen.
Und wer ist Schuld an dieser politischen und demokratischen Bankrotterklärung? Ich kann es Euch sagen: Der Antrag zum Diskriminierungsschutz in Artikel 3 des Grundgesetzes wurde im Juli vor einem Jahr im Bundesrat vertagt, weil alle einzelnen Bundesländer, in denen die CDU und CSU beteiligt sind, sich geweigert haben den Antrag offiziell zu unterzeichnen.
Und deswegen ist es wichtig, dass wir alle zusammenstehen, Schwule, Lesben, Bisexuelle, Trans* und Intersexuelle – aber auch alle Heterosexuellen, ja es ist wichtig, dass wir alle zusammenstehen und unsere Bundesregierung und unsere Bundestagsabgeordneten aller demokratischen Parteien gemeinsam auffordern: Ändert endlich das Grundgesetz, verdammt nochmal!
Wir Deutschen behaupten immer wieder von uns, dass wir ach so weltoffen und liberal sind, dass wir so viel weiter sind, als andere Länder. Entschuldigt, aber das ist absoluter Bullshit: Wir müssen nur auf Eure ehemalige Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zurückschauen, um zu sehen, wie tief die Homophobie noch in unserer Gesellschaft steckt. Kein Wunder, dass die neue CDU-Chefin für ihre unsäglichen dummen und homophoben Kommentare zur Ehe für Alle den hoch verdienten Titel der Miss Homophobia erhalten hat.
Gerade heute erleben wir wieder, wie zurückgewandt, wie konservativ, wie reaktionär unser Land sein kann. Allen voran viele unserer Medienanstalten, die sich in manchen Regionen immer noch schwer tun, der Realität ins Auge zu schauen und uns alle als wichtigen Teil unserer Gesellschaft zu akzeptieren und zu porträtieren.
Vincent – ja Vincent kriegt keinen hoch, wenn er an Mädchen denkt – die deutsche Sängerin Sarah Connor hat vor ein paar Wochen dieses Lied raus gebracht und haltet Euch fest, es gibt tatsächlich Radiosender, die sich weigern dieses Lied zu spielen oder wenn sie es tun, diesen einen ersten Satz aus dem Song kastrieren und ihn einfach zwei Zeilen später anfangen abzuspielen.
In was für einer Welt sind denn diese Leute steckengeblieben? Vincent, Robert, Abdul, Miguel und auch Alfonso kriegen keinen hoch, wenn sie an Mädchen denken – und zwar weil sie schwul sind, kriegt das endlich mal klar!
Und deswegen habe ich eine Bitte an uns alle: Hört genau hin! Wo wird dieser Song in ganzer Länge abgespielt und wo nicht? Und schreibt den Redaktionen und beschwert Euch. Organisiert Demos vor ihren Sendezentralen und fordert die Sichtbarkeit, die uns zusteht.
Und es liegt mir noch was anderes auf dem Herzen: Unser Staat erlaubt sich tatsächlich ein Urteil darüber zu fällen, wie sich Trans*Menschen zu definieren haben und zu welchem Geschlecht sie gehören dürfen. Was oder wie Trans*Menschen selbst empfinden, ist unserem Staat bisher egal.
Das aktuelle Transsexuellengesetz (TSG) zwingt transgeschlechtliche Menschen, wenn sie z.B. ihren weiblichen Geburtsnamen ihrem männlichen Geschlecht angleichen wollen, zu einer menschenverachtenden Begutachtungspraxis durch Ärzt*innen und Psycholog*innen.
Für dringend nötige Behandlungen zahlt keine Krankenkasse — und wenn, dann nur unter ganz besonderen und erschwerten Bedingungen!
Daher fordern wir, dass das bestehende Transsexuellengesetz abgeschafft wird. Für die Ehe für alle hat die Bundesrepublik Deutschland seit ihrer Entstehung 68 Jahre gebraucht. Wie lange soll es noch dauern, bis transgeschlechtliche Menschen endlich in Würde leben dürfen?
Und was ich ganz schlimm finde: Die aktuelle Bundesregierung hat einen neuen Entwurf dieses Gesetzes in Umlauf gebracht und das was da drin steht ist inakzeptabel und es ist ein heftiger Anschlag an unsere Emanzipation. Deswegen müssen und werden wir weiter dafür kämpfen, dass sich diese Zustände ein für alle Mal ändern.
Lasst uns daher gemeinsam dafür kämpfen, dass auch Trans*Menschen endlich so sein können, wie sie wirklich sind!
Mobbing, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit sind das Gift unserer Gesellschaft. Unser Land driftet immer weiter nach rechts – und unser Land unterscheidet wieder, zwischen den Guten, die von hier kommen, und den Bösen, die von dort kommen.
Und während unser Land immer weiter nach rechts marschiert, werden wir immer heftiger zurückgedrängt. In eine neue Zeit, die sich an der alten und dunklen Energie bedient!
Und wir? Anstatt uns als Gesellschaft nach vorne zu bewegen, lassen wir uns immer mehr von den Feinden unserer Demokratie, von den Feinden unseres Europas zurückdrängen.
Wollen wir wirklich in einer solchen Gesellschaft? Haben wir aus der Geschichte nichts gelernt? Wir können dieses Mal nicht mehr sagen, wir hätten von all dem nichts gewusst!
Daher lasst uns diesen Christopher Street Day als Mahnung sehen. Immer für Akzeptanz aller Menschen einzustehen. Immer für die Gleichbehandlung aller Menschen die Stimme zu erheben. Immer für die Liebe zu kämpfen!
Happy Pride!
Alfonso Pantisano
LSVD-Bundesvorstand
(Es gilt das gesprochene Wort)