Kategorien
Hirschfeld-Eddy-Stiftung Projekte Verband

Religion, Homophobie und same-sex love im Fokus aktueller Afrikaforschung

Hintergrundbericht zur European Conference on African Studies 2023

Literaturliste: hier (PDF)

Religionsgemeinschaften beeinflussen Verhalten, Vorstellungen und Vorurteile, zudem üben sie gezielt Einfluss auf politische Machthaber aus. Die jüngsten Entwicklungen in Uganda im Kontext des neuen Anti-Homosexuellen-Gesetzes zeigen das beispielhaft. Geber von Entwicklungsgeldern an Kirchen wirken hier unheilvoll. 

Ugandische Forscher*innen analysieren schon seit längerem dieses Problem, auch in anderen afrikanischen Ländern ergründen Wissenschaftler*innen religiös motivierte Homophobie, die insbesondere von Regierenden politisch in Wahlkämpfen und Wirtschaftskrisen instrumentalisiert wird und sexuelle Minderheiten bedroht.

In diesen Konfliktfeldern arbeiten Menschenrechtsverteidiger*innen für die Rechte von sexuellen Minderheiten an umfassenden Veränderungen – ihre Arbeitsbedingungen werden vielerorts immer schwieriger, denn repressive Regime schränken zivilgesellschaftliches Handeln immer weiter ein. Wie religiös motivierte und politisch aufgeladene Kulturkämpfe, die national und global geführt werden, Menschenrechtsaktivismus und kulturell-künstlerische Räume beeinträchtigen, analysiert die Afrikaforschung.

Einblicke in aktuelle Forschungen ermöglichte die international ausgerichtete European Conference on African Studies der Vereinigung African Studies in Europe, die Ende Mai und Anfang Juni in Köln stattfand und an der viele Forschende aus afrikanischen Ländern mitwirkten. Ein verbindendes Anliegen war die Reflexion über Wissensproduktion und –nutzung, womit Fragen der Umsetzung in der Entwicklungspolitik und Zusammenarbeit mit LSBTIQ-Organisationen verbunden waren. Beispiele für den innovativen Charakter und das breit gefächerte Forschungs- und Diskussionsspektrum werden im Folgenden vorgestellt.

Forschende im Kreuzfeuer der Homophobie: Uganda

Stella Nyanzi aus Uganda stellte eindrücklich klar, was auf dem Spiel steht und warum Austausch über Forschung wichtig ist. Mit dem neuen Anti-Homosexuellen-Gesetz in Uganda droht dortigen Wissenschaftler*innen zehn Jahre Haft, wenn sie über Homosexualität forschen, es hat also direkte persönliche Auswirkungen. Deshalb forderte sie als Queer-feminist African Scholar und Producer of Knowledge – so ihr Selbstverständnis — eindringlich Akademiker*innen aus anderen Ländern auf, nach Uganda zu kommen, als Bürger*innen anderer Staaten seien sie sicherer. Die überzeugte queer-feministische Forscherin Stella Nyanzi wurde bereits wegen regimekritischer Äußerungen inhaftiert, deshalb lebt sie nun im Exil in Berlin. Im Gefängnis erlitt sie in Folge von Folter eine Fehlgeburt. Sie warf der ugandischen Regierung diktatorisches Vorgehen vor und kritisierte neben evangelikalen Kirchen aus den USA und Uganda auch die von Saudi-Arabien geförderten muslimischen Gemeinden und die finanzielle Einflußnahme auf ugandische homophobe Politiker durch russische Oligarchen. 

Forschungen über und mit Queers in Uganda seien aber wichtig. Stella Nyanzi war sich den Widersprüchen ihrer Forderung bewusst, denn sie sagte klar, vor einigen Jahren hätte sie noch europäische Forschende in Uganda kritisch betrachtet, nun sei es soweit gekommen, dass sie Wissenschaftler*innen von außen auffordern müsse, weil transformative und widerständige Forschungen für Ugander*innen selbst zu gefährlich seien. Und dabei geht das erste Anti-Homosexuellen-Gesetz auf die britischen Kolonialherren zurück.

Kolonialmächte und Kirchen

Matthew Waites von der Universität Glasgow skizzierte die Verbreitung von Anti-Homosexuellen-Gesetzen in anglophonen, frankophonen und portugiesischen Kolonien und die jeweilige staatliche Förderung von LSBTIQ+-Organisationen in den Ländern, die aus diesen Kolonialgebieten hervorgegangen sind. Auffällig war der Unterschied zwischen britischen Kolonien, in denen zahlreiche homophobe Gesetze erlassen wurden und zur Verbreitung von Homophobie führten, und portugiesischen Kolonien wie Mosambik, wo das weniger der Fall war. Ein Grund könnte neben der nur punktuellen Präsenz kolonialer Institutionen die geringe Verbreitung von Missionsgesellschaften und –schulen gewesen sein, die somit weniger Druck ausüben und Homophobie predigen konnten als im anglophonen Raum.

Im Vergleich der Entwicklungsgelder, die frühere Kolonialmächte für LSBTIQ+-Menschenrechtsförderung ausgeben, sticht Großbritannien ebenfalls hervor. Denn in den letzten Jahrzehnten nutzten die Regierungen in London die Gelder auch als politisches Druckmittel, was lokale LSBTIQ+-Organisationen – etwa in Uganda – u.a. wegen mangelnder Absprachen und der damit verbundenen negativen Folgen problematisierten bzw. kritisierten.

In Ugandas Nachbarland Kenia – auch eine frühere britische Kolonie — gibt es seit vielen Jahren HIV/AIDS-Beratungen, die homosexuelle Männer als Zielgruppe einbezogen, um die Prävalenzrate zu reduzieren. Die diesbezüglichen Fallstricke erläuterte die kenianische Gesundheitsforscherin Emmy Kageha Igonya Dazu zählte: Diejenigen, die erreicht werden sollten, hatten aber ein viel umfassenderes Selbstverständnis und wollten sich nicht auf eine von außen zugeschriebene Identität als gefährdete Homosexuelle reduzieren lassen. Sie sahen sich in ganz unterschiedlichen, teils fluiden sozialen und familiären Rollen und nutzten same-sex-Kontakte als Überlebensökonomie. Verkompliziert wird die Situation dadurch dass Kirchen vor Ort behaupten, die Kolonialmacht hätte Homosexualität mitgebracht. Demgegenüber sei aber laut Emmy Kageha Igonya zu bedenken, dass Kirchen als Institutionen aus Europa kamen und keineswegs afrikanischen Ursprungs sind. Lokale Spannungen würden auch verstärkt, weil Geber oft Gelder für Projekte geben, die zu Konflikten zwischen lokalen LSBTI-Organisationen führen und Missbrauch begünstigen. Umso wichtiger sei es, funktionierende und nachhaltige Strukturen zu fördern.

Das Kreuz mit der Kirche und gleichgeschlechtliche Liebe in Ghana

Daniel Fiaveh von der Universität Cape Coast in Ghana betonte, dass Gesetzesentwürfe zur Dekriminalisierung oder verschärften Verfolgung von Homosexualität länderspezifisch betrachtet werden müssen. Damit meinte er weniger die unterschiedlichen Rechtssysteme in den nachkolonialen Staaten, in denen common law und customary law (staatliches und kodifiziertes traditionelles Recht) und teilweise auch islamische Rechtsregeln ganz unterschiedlich kombiniert sind. Vielmehr unterstrich er kulturelle Aspekte. Demnach sei die ghanaische Gesellschaft sehr sensibel, was öffentlich zur Schau gestellte Sexualität anbelangt. Das betreffe homo- und heterosexuelle Paare. Küssen in der Öffentlichkeit sei für alle verpönt. Solche Vorbehalte müssten LSBTIQ+-Aktivist*innen bei Protestplanungen berücksichtigen. Sie sollten sich auch genau überlegen, wie sie strategisch vorgehen wollen. Die rechtlichen Rückschläge im Land seien teils politisch – beispielsweise Kämpfe um Wählerzuspruch — und teils von außen beeinflusst. Ghana müsse sich fragen, wie es grundsätzlich mit den Problemen umgehen will, die das imperiale britische Empire verursacht hat – das Land war auch britische Kolonie. Zur Bedeutung von evangelikalen Kirchen im Land meinte Daniel Fiaveh, inzwischen würden etliche Menschen aus der Mittelschicht ihnen gegenüber skeptisch, denn viele Kirchenleiter hätten sich persönlich enorm bereichert, während die Mitglieder weiterhin arm geblieben seien.

Homophoben Kirchenvertretern in Ghana wird auch auf einer anderen Ebene ein Spiegel vorgehalten, wie Guilia Allegra Liti am Beispiel von Artivism zeigte, also der Kunst von und für LSBTIQ+-Aktivist*innen. Am Karfreitag 2021 stand an einer viel befahrenen Straße in der Metropole Kumasi ein Aktionskunstwerk (holier than thou), es war eine Holzkonstruktion, überkreuz aufgestellte Holzbohlen, in die ein Mensch an Ketten hängend eingezwängt war. Va-bene Elikem Fiatsi (crazinisT artisT) widmete diese Performance allen Opfern von Mobgewalt und Lynchjustiz. Denn Homosexuelle mussten wegen der damals bereits homophoben Rechtslage und gesellschaftlichen Anfeidung ihr Kreuz tragen und Unterstellungen, Verdächtigungen oder Beschuldigungen können leicht zur Gewalt führen – Gewalt, die jede*n treffen kann, beispielsweise auch Frauen, die der Hexerei verdächtigt werden. Die Performer*in prangerte Kirchen und Politik an, den neuen homophoben Gesetzentwurf bezeichnet sie als unmenschlich. Kirchengemeinden, in denen sie zuvor aktiv war, distanzierten sich von der Künstler*in. Va-bene Eilikem Fiatsi (crazinisT artisT) will zur Reflexion über Queere Menschen anregen und durch Kleidung fluide Gender-Rollen zeigen.

TransFiguration als Ausdrucksform in der virtuellen Populärkultur betraf das performative Ausreißen von Barthaaren, was Va-bene Elikem Fiatsi als Film aufgezeichnet und online gestellt hat — eine Performance hin zu weiblichem Aussehen. Im realen Stadtbild kann oft nur mit Andeutungen künstlerisch gearbeitet werden, so sind bei einem Wandbild – we are all the same – auf einer Seite zu einer Toreinfahrt eines Kunstzentrums (homophobe) Hasser angedeutet, auf der anderen Menschen (sexuelle Minderheiten), die eng zusammenstehen und sich gegenseitig zu schützen versuchen. Ein Regenbogen oder ähnliches kommt nicht vor.

Digitale Räume, reale Lebenswelten und religiöse Moral

Neben einzelnen Installationen im öffentlichen Raum gibt es in mehreren afrikanischen Ländern zahlreiche individuelle Performances etwa von Drag Queens, die virtuell verbreitet werden. Einerseits finden sie viel Zuspruch, andererseits werden sie mit massiver Hassgewalt kommentiert. Dort schlägt den Darsteller*innen die christliche Moralkeule von sündigem Verhalten entgegen – oft gepickt mit selektiven Bibelzitaten — und Vorwürfen, gegen lokale, nationale und afrikanische Traditionen zu verstoßen, wie mehrere Forschende zu bedenken gaben. Das betrifft insbesondere die kulturelle Norm, Ehen sollten zur Fortpflanzung dienen. In den jeweiligen Lokalsprachen oder einer regionalen Sprache würden männliche Kommentatoren auch lamentieren, sie fühlten sich durch Drag Queens als Männer beschämt.

Die Wissenschaftler*innen hoben hervor: Digitale Räume bieten zwar Foren für medial-ästhetische Ausdrucksformen und für Gender als Prozess, gleichzeitig sind sie wegen der Anfeindungen aber keineswegs sicher und oft sind die Grenzen zum realen Leben unklar. Im stressigen Alltagsleben müssen sexuelle Minderheiten sogar in etlichen Metropolen wegen der kolonial verbreiteten Homophobie und deren Langzeitwirkungen (wie koloniale Geister, die noch herumspuken) ihr eigenes Verhalten immer wieder planen, orientiert an Fragen wie: Welche Orte oder Räume sind zu welcher Tageszeit sicher oder unsicher? Mit welcher Kleidung fällt man nicht auf und wird (un)sichtbar? Ist in einer bestimmten Situation eine kodierte Sprache notwendig?

Mit diesen Problemen sind insbesondere verfolgte sexuelle Minderheiten konfrontiert, die in jeweiligen Nachbarländern Zuflucht suchen, etwa Ugander*innen in Kenia, wo sie aber auch mit Homophobie konfrontiert sind. Nur einzelne dortige Kirchen wie die Cosmopolitan Affirming Church würden queeren Gläubige offen stehen, wodurch sie aber ins Visier von homophoben Hetzern geraten. Dies zählt zu den Dilemmata gläubiger queerer Menschen, die religiösen Rückhalt suchen, gleichzeitig aber Haßpredigen ertragen müssen, wie Barbara Bompani erläuterte. Da Pfingstkirchen zudem die Teilnahme an wöchentlichen Treffen in Kleingruppen erwarten, seien diese Zusammenkünfte für queere Gläubige — wegen der dortigen sozialen Kontrolle ‑ebenfalls riskant und führten zu Meidungsstrategien. Deshalb ziehen etliche im Alltag die digitale Form religiöser Praktiken vor. Das bedeutete, religiöse Texte werden digital gelesen und religiöse Lieder online gehört. So kann im Verborgenen gemäß persönlicher religiöser Bedürfnisse gehandelt werden. Das sei ebenfalls eine Strategie von geflohenen queeren Muslim*innen im multi-religiösen Kenia.

Unsichtbarkeit, Geheimhaltung und Anonymität ist auch für Frauen im islamisch geprägten Nordghana wichtig, wenn sie sexuelle Kontakte mit anderen Frauen eingehen, wie Colette Santah erläuterte. Ihre Interviewpartnerinnen, die als Muslima in unterschiedlichen Familienkonstellationen lebten und Frauen liebten, betrachteten ihre Liebe aber keineswegs als unmoralisch oder schuldig. Sie legten großen Wert auf Selbstbestimmung und wollten nicht an von außen vorgegebenen Kriterien eine Identität zugeschrieben bekommen oder eingeordnet werden. Die strikte Geheimhaltung bot ihnen Schutz in einer sehr homophoben und feindseligen Umgebung, LSBTIQ+-Aktivismus würde sie gefährden. Das Monster Homophobie hätte ihrer Einschätzung nach durch den neuen Gesetzesentwurf und die damit verbundenen Konzepte eine neue Gestalt angenommen. Aus ihrer Sicht verursachten das Gesetz und die Debatte darüber bzw. die Kritik daran zu viel Lärm, zu viel Wirbel, der ihnen schaden könnte.

Neue selbstgewählte Namen statt Kürzel

Forschende aus anderen afrikanischen Ländern nannten ähnliche Beispiele, in denen das LSBTIQ-Kürzel lokal abgelehnt würde, weil die Menschen sich nicht mit diesen Zuschreibungen identifizieren. Zudem würden im Diskurs in manchen Ländern von „these alphabet people“ oder „it“ geredet. Man sei aber weder eine Abkürzung noch ein paar Buchstaben im Alphabet, denn damit würde abwertend die eigene Menschlichkeit abgesprochen. Deshalb werde, so die südafrikanische Professor*in Zethu (Zintombizethu) Matebeni, über einen neuen Namen und eine selbst gewählte Bezeichnung nachgedacht – zusätzlich zu Worten aus lokalen Sprachen, die auf vorkoloniale Geschlechtervielfalt hindeuten und diese in weitere gesellschaftlich-kulturelle Kontexte einordnen. Bei Selbstdefinitionen seien soziale Beziehungen wichtiger als einzelne Sexualpraktiken, damit ging die Ablehnung der Definitionen von außen einher.

Hinsichtlich Imaginationen und Utopien müssten die eigenen bisherigen Beschränkungen, in denen auch Wissenschaftler*innen verfangen sind, kritischer eingeschätzt und entsprechend erweitert werden. Es brauche Studien zum besseren Verständnis der vielfältigen Realitäten von sexuellen Minderheiten in unterschiedlichen kulturellen Kontexten und länderspezifischen Situationen. Dazu zählen Forschungen, für die Wissenschaftler*innen aus verschiedenen afrikanischen Ländern kooperieren und dabei Sorgen wegen möglicher geheimdienstlicher Überwachung bewältigen müssen, und Forschungspartnerschaften mit lateinamerikanischen Akademiker*innen. Stella Nyanzi fand also bereits während der ECAS-Konferenz in Köln Gehör.

Rita Schäfer, freiberufliche Afrikawissenschaftlerin und
Gender-Forscherin

Literatur: (Auswahl)

Eine ausführliche Liste von Literaturhinweisen und Weblinks, zusammengestellt von Dr. Rita Schäfer, steht Ihnen als Download hier (PDF) zur Verfügung.

Chitando, Ezra / van Klinken, Adriaan (eds.): Reimagining Christianity and sexual diversity in Africa, Hurst Publishers/Oxford University Press, London/Oxford 2021.

Gomes da Costa Santos, Gustavo / Waites, Matthew: Comparative
colonialisms for queer analysis. Comparing British and Portuguese colonial legacies for same-sex sexualities and gender diversity in Africa – setting a transnational research agenda. In: International Review of Sociology, 29(2), 2019, pp. 297–326.

Kaoma, Kapya: Christianity, globalization, and protective homophobia. Democratic contestation of sexuality in Sub-Saharan Africa, Palgrave/MacMillan/Springer, Cham 2018.

Nyeck, S.N. (ed.): Routledge handbook of queer African studies, Routledge, London 2019.

van Klinken, Adriaan: Kenyan, Christian, Queer. Religion, LGBTI activism, and arts of resistance in Africa, Penn State University Press, State College 2019.

Alle Publikationen zum Projekt „We believe in changeMenschenrechte im Spannungsfeld von Religionsfreiheit und Nicht-Diskriminierung” der Hirschfeld-Eddy-Stiftung finden sich unter dem Tag WBIC-2023.

BMJ
HES


Teile diesen Beitrag: