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Südafrika – Auf dem Weg zur Regenbogennation?

Benny Gool, Public domain, via Wikimedia Commons

Christliche Kirchen im Spannungsfeld zwischen LSBTIQ+ Inklusion und Homophobie

Südafrika versteht sich selbst als Regenbogennation, diese Vorstellung hat der frühere anglikanische Erzbischof von Kapstadt Desmond Tutu geprägt. Mit den symbolreichen Worten „Rainbow People of God“ verband er die auf Versöhnung ausgerichtete Neuorientierung der Gesellschaft nach Jahrzehnten der Zerstörungen durch das rassistische Apartheidregime. Neben dem Aufbau einer multi-kulturellen, friedlichen Nation, zu der auch die von ihm geleitete Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) beitragen sollte, setzte er sich in vieler Hinsicht gegen homo-/transphobe Gewalt in allen Lebensbereichen ein. 

Aus Überzeugung vertrat er die Gleichheitsforderungen von sexuellen Minderheiten in Kirche, Gesellschaft und Politik. Grundlage dafür war sein christliches Gerechtigkeitsverständnis.

Theologen für Toleranz und die Inklusion von LSBTIQ*

1984 erhielt Desmond Tutu den Friedensnobelpreis, 1994 fanden die ersten demokratischen Wahlen statt und Nelson Mandela wurde Präsident Südafrikas. So ist nun – knapp 30 Jahre später – ein geeigneter Zeitpunkt, danach zu fragen, inwieweit Kirchen im christlich geprägten Land am Kap der guten Hoffnung für Gleichheit von sexuellen Minderheiten und gegen Diskriminierung eintreten. Schließlich beinhaltet die neue Verfassung von 1996 umfassende Gleichheitsklauseln, zudem gilt Südafrika mit dem darauf aufbauenden Ehegesetz, dem Adoptionsrecht, dem Asylrecht u.a. Rechtsgrundlagen auf dem Kontinent und international als Vorreiter für LSBTIQ*Menschenrechte. Auch damit sollte ein Schlussstrich unter die ab 1948 gesetzlich verankerte und zur Staatsordnung erhobene Apartheid gezogen werden, da der Apartheidstaat Homosexualität kriminalisierte und die staatstreue Holländisch Reformierte Kirche (NRK/DRC) Homophobie befeuerte.

Elke Wetzig (Elya), CC BY-SA 3.0 <http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/>, via Wikimedia Commons

Im Folgenden werden einige Wegmarken aufgezeigt, die namhafte und couragierte Theologen für LSBTIQ*Inklusion und Toleranz gesetzt haben – wegen der damaligen Kirchenhierarchie waren es Männer. Allerdings war diese Ausrichtung kein linearer Pfad und die Kämpfer für LSBTIQ+ in der anglikanischen Kirche und in der kalvinistischen Holländisch Reformierten Kirche waren große Ausnahmen.

Anfeindungen von sexuellen Minderheiten sind bis heute weiterhin Abwege, die viele Kirchen(gemeinden) einschlagen. Homophobe Prediger, vor allem der evangelikalen Pfingstkirchen, schüren mit selektiven und aus Kontexten gerissenen Bibelzitaten und moralischer Panikmache – oftmals gesponsert von US-amerikanischen christlichen Fundamentalisten — Hass in ihren Gemeinden. Dennoch werden etliche von Politikern unterstützt, die vom eigenen Regierungsversagen abzulenken versuchen oder um Wählergunst buhlen. Was dieses hetero-patriarchale Machtstreben, das homophobe sozio-politische Strukturen verstärkt, für LSBTIQ*Menschen bedeutet und wie christliche Interessenvertretungen — insbesondere die Inklusive & Affirming Ministries (IAM) — auf vielen Ebenen dagegen angehen, ist ebenfalls Thema dieses Blog-Beitrags. Er erläutert einerseits die Argumente der Wegbereiter für LSBTIQ+ Inklusion in Kirchen und andererseits massive Blockaden dagegen sowie mühsame Ansätze zu deren Überwindung. Die ausgewählten Beispiele sind exemplarisch für gegenläufige Ausrichtungen.

Desmond Tutu – überzeugter Christ und Theologe im Kampf für sexuelle Minderheiten

Der anglikanische Erzbischof Tutu begründete aus christlicher Überzeugung heraus immer wieder seine Haltung gegen Homophobie, wie diese Zitate exemplarisch belegen:

I’m absolutely, utterly, and completely certain that God wouldn’t be homophobic. I’d much rather go to hell — I really would much rather go to hell — than go to a homophobic heaven.”

Tutu war überzeugt, dass Gott nicht homophob sei. Er selbst würde eher in die Hölle gehen als in einen homophoben Himmel.

Für Erzbischof Tutu war die Prämisse, Gott würde Homosexuelle nicht bestrafen, nie eine isolierte Einschätzung, sondern immer im Verhältnis zu sehen. So war für Tutu klar: Gott würde niemanden bestrafen, weil die Person eine Frau oder schwarz sei.

I can’t for the life of me imagine that God will say, ‘I will punish you because you are black, you should have been white; I will punish you because you are a woman, you should have been a man; I will punish you because you are homosexual, you ought to have been heterosexual.’ I can’t for the life of me believe that is how God sees things.”

Tutu erhob seine Stimme, wenn Menschen bestraft wurden für Dinge, die sie nicht ändern konnten. Beispielsweise wenn Frauen ausgeschlossen wurden, nur weil sie Frauen waren. Oder wenn Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung bestraft und umgebracht wurden. Er verurteilte solch ein Unrecht mit der gleichen Vehemenz, wie er die Apartheid ablehnte.

I have to tell you, I cannot keep quiet when people are penalised for something about which they can do nothing. First, gender. When women are excluded, just simply and solely because they are women. But more perniciously, more ghastly, is the fact that people are penalised, killed, all sorts of ghastly things happen to them, simply, solely on the basis of their sexual orientation. I oppose such injustice with the same passion that I opposed apartheid.”

Kampf gegen Homophobie als Fortsetzung des Kampfes gegen Apartheid

Erzbischof Tutu, der zwischen 1978 und 1984 auch Generalsekretär des südafrikanischen Kirchenrats (SACC) war, verstand also den Kampf gegen Homophobie als Fortsetzung des Kampfes gegen die Apartheid und empfahl Kirchen eine entsprechende Ausrichtung: gegen Homophobie und Sexismus.

If the church, after the victory over apartheid, is looking for a worthy moral crusade, then this is it: the fight against homophobia and heterosexism.“

Tutu bewertete Homosexualität als gegeben, nicht als Wahloption, vor allem angesichts der verbreiteten Homophobie.

[homosexuality] The orientation is a given, not a matter of choice. It would be crazy for someone to choose to be gay, given the homophobia that is present.”

Und er nahm alle Eltern in die Pflicht, homosexuelle Kinder anzuerkennen.

A parent who brings up a child to be a racist damages that child, damages the community in which they live, damages our hopes for a better world. A parent who teaches a child that there is only one sexual orientation and that anything else is evil denies our humanity and their own too.”

Der Theologe Tutu, der sich auch auf internationaler Ebene, etwa im Rahmen der UN-Kampagne “Free Equal“, für Einstellungsveränderungen und Rechtsreformen einsetzte, entwickelte seinen progressiven Standpunkt zur gleichgeschlechtlichen Sexualität aus seinem jahrelangen Widerstand gegen die Apartheid und für Bürgerrechte. Das rassistische Apartheidregime hatte der schwarzen Bevölkerungsmehrheit diese Rechte systematisch vorenthalten. Deshalb waren Anerkennung der Menschenwürde, Menschenrechte für Alle und Diversität Tutus zentrale, miteinander verbundene Anliegen. Die theologische Grundlage dafür waren sein Menschen- und Gottesbild (Imago Dei) und seine Bezugnahme auf lokale Konzepte von Mitmenschlichkeit (ubuntu). Jeder Mensch sollte dementsprechend respektiert werden.

Lesben und Schwule daran zweifeln zu lassen, ob sie wirklich Kinder Gottes sind, ist “die ultimative Blasphemie”

Theologisch rechnete er schon vor 1994 mit der Apartheid als Häresie und Blasphemie ab, in ähnlicher Weise stufte er später Homophobie als Blasphemie ein.

Apartheid’s most blasphemous aspect is … that it can make a child of God doubt that he is a child of God. For that reason along, it deserves to be condemned as a heresy. … it was ‘the ultimate blasphemy’ to make lesbian and gay people doubt whether they truly we children of God and whether their sexuality was part of how they were created by God.”

Erzbischof Tutu galt als Verkörperung des Glaubens in Aktion und zwar nicht nur in Südafrika, sondern beispielsweise auch auf der Ebene des Weltkirchenrats (WCC). So verlangte Tutu im Vorfeld des WCC-Kongresses 1998 in Südafrikas Nachbarland Simbabwe unter dem homophoben Präsidenten Robert Mugabe einen klaren Standpunkt gegen Homophobie, damit der WCC glaubwürdig bleibe. Immer wieder sprach sich Tutu aus christlicher Überzeugung gegen jegliches Unrecht aus, insbesondere wenn Fehlverhalten die Verletzlichsten und Verstummten in einer Gesellschaft betraf. Am Weihnachtstag, den 26. Dezember 2021, verstarb er. Mit seinem Tod verloren LGBTIQ*Aktivist*innen einen wichtigen Allianzpartner.

Schon lange vor seinem Tod gründete er die Desmond Tutu Health Foundation im Kampf gegen HIV mit einer eigenen Abteilung für den gleichberechtigten Zugang von LSBTIQ+ Menschen zu anti-retroviralen Medikamenten und diskriminierungsfreien Behandlungen. An der University of the Western Cape (UCW), der einzigen Universität für Coloured*-Studierende während der Apartheid, erforscht das Desmond Tutu Centre for Religion and Social Justice seit einigen Jahren insbesondere das Verhältnis von Religion, Gender und Sexualität. Ergebnisse der interdisziplinären und basisorientierten Forschung sind in zahlreichen Publikationen zu sexuellen Minderheiten und Kirchen aus (post)kolonialer Sicht veröffentlicht.

Konflikte über gleichgeschlechtliche Ehen in der methodistischen und anglikanischen Kirche

So erläutert die Zeitschrift „African Journal of Gender and Religion“ beispielsweise strukturelle Konflikte in der Methodistischen Kirche Südafrikas; diese betrafen einen jahrelangen Meinungsstreit über den kircheninternen Umgang mit homosexuellen Paaren und ordinierten Amtsträger*innen. Während vieler Konferenzen prallten die Standpunkte von Befürworter*innen und Gegner*innen aufeinander. Juristisch ausgetragen wurde die Entlassung von Rev. Ecclesia de Lange, sie musste ihr Amt als Geistliche (Minister) aufgeben, nachdem sie ihre Partnerin Ende 2009 geheiratet hatte. Ihr wurde vorgeworfen, durch die Eheschließung die Regeln der Methodistischen Kirche verletzt zu haben. De Lange argumentierte mit unfairer Diskriminierung basierend auf sexueller Orientierung, also dem Recht auf Nicht-Diskriminierung, und focht ihre Amtsenthebung juristisch an, scheiterte aber vor dem Obersten Gericht und dem Obersten Berufungsgericht. Diese Gerichte betonten die Religionsfreiheit und unterstrichen die Befugnis von Religionsgemeinschaften, eigene Verhaltensregeln für ihre Mitglieder aufzustellen. Gerichte und Staat würden sich dort nicht einmischen. Das Verfassungsgericht folgte der Argumentation des Obersten Berufungsgerichts.

Ben P L from Provo, USA, CC BY-SA 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0>, via Wikimedia Commons

Die Desmond Leah Tutu Legacy Foundation, die an Erzbischof Tutus Wirken unter Einbeziehung seiner langjährigen Ehepartnerin Leah erinnert, bezieht immer wieder Stellung, wenn Kirchen oder andere religiöse Vereinigungen Homophobie schüren oder sich gegen gleichgeschlechtliche Ehen aussprechen und Homosexuelle diskriminieren. Dies war beispielsweise bei Desmond Tutus Tochter Rev. Mpho Tutu van Furth der Fall, die 2016 ihres Kirchenamtes als ordinierte Priesterin in der Anglican Church of Southern Africa – der Kirche ihres Vaters -, enthoben werden sollte, nachdem sie ihre lesbische Partnerin geheiratet hat. Die Kirche weigerte sich, die Ehe anzuerkennen, Rev. Mpho sollte die Lizenz als Priesterin vom Bischof in Kapstadt entzogen werden; angesichts solch einer Missachtung gab sie diese dann selbst ab. Desmond Tutu hatte das Paar bei der Eheschließung gesegnet.

2016 entschied die Kirchensynode, sowohl Gebete als auch Segnungen bei der Hochzeit von homosexuellen Paaren abzulehnen. 2023 stimmte die Synode Gebeten für gleichgeschlechtliche Paare zu; zwar gab es Meinungsstreitigkeiten zwischen Bischöfen der Anglican Church of Southern Africa über Segnungen dieser Lebensgemeinschaften, sie werden offiziell aber weiterhin abgelehnt.

Allan Boesak – Befreiungstheologie, demokratischer ziviler Widerstand gegen Apartheid und für Rechte von Homosexuellen in Kirchen

Rob Croes for Anefo, CC BY-SA 3.0 NL <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0

Dr. Allan Aubrey Boesak, promovierter Theologe, ordinierter Pfarrer und Anti-Apartheidaktivist, vertrat ähnlich wie Desmond Tutu befreiungstheologische Standpunkte. Er war für die kalvinistische (reformierte) Dutch Reformed Mission Church (DRMC) tätig, der Coloureds*, denn sie durften während der Apartheid nicht zusammen mit Weißen Gottesdienste feiern. Die Dutch Reformed Church trennte gemäß der Apartheidideologie die Gläubigen nach Hautfarben, Coloureds* wurden der Dutch Reformed Mission Church (DRMC) zugeordnet und das betraf auch Allan Boesak. Er bezeichnete die Apartheid als Häresie. Diese Einschätzung vertrat er auch während einer Konferenz der World Alliance of Reformed Churches 1982 in Kanada, sie einte 150 kalvinistische Kirchen in 76 Ländern mit über 50 Millionen Mitgliedern. Die WARC erklärte die Apartheid als Häresie, suspendierte die weiße Dutch Reformed Church und wählte Boesak einstimmig zu ihrem Direktor.

1983 war Boesak maßgeblich an der Gründung der United Democratic Front (UDF) in Kapstadt beteiligt, einem Dachverband von über 300 zivilgesellschaftlichen Organisationen, u.a. von regimekritischen Kirchen. Später verglich er die Unterdrückung schwarzer Menschen mit der Diskriminierung von Homosexuellen:

Before God, there is no hierarchy of oppression and injustice. The injustice done to LGBTQI persons is no less an abomination than the injustice done to the black poor and powerless. With God, justice is indivisible, as love is indivisible, as God is indivisible. Therefore, with regards to gays, lesbians, bi-sexual, transgender, queer, and intersexual persons, as it is with the oppression and marginalization women, the challenge is the same: in their struggle for the recognition of their rights to full humanity, the church also must learn “to stand where God stands”, to witness and strive against “any form of injustice”.”

Unrecht an LSBTIQ+ Menschen ist Gräuel

2008 erstellte Dr. Boesak einen Bericht zur Klärung theologischer und moralischer Aspekte homosexueller Partnerschaften und der Ordinierung praktizierender Homosexueller in Kirchenämtern, mit dieser Studie hatte die United Reformed Church in Southern Africa ihn beauftragt. Er verlangte unter Bezug auf das Belhar-Bekenntnis der Generalsynode der Coloured*-Kirchen (NGSK) von 1986 zur Überwindung der Apartheid, alle Rechte homosexueller Kirchenmitglieder sollten verteidigt werden. Als die Synode das ablehnte, kündigte er an, seine Kirchenämter niederzulegen.

Auch in der General Synode der Dutch Reformed Church gab es bis 2019 massive Konflikte über die kircheninterne Anerkennung oder Ablehnung gleichgeschlechtlicher Ehen, die erst ein Gerichtsurteil beendete. Der inklusive Gerechtigkeit einfordernde Theologe Boesak unterstrich wiederholt:

The situation of the LGBTQI person is in its deepest reality a situation of injustice. Their search for the recognition and protection of their humanity is a search for justice. In their woundedness, their vulnerability to the denial of their rights, the enmity of many in society and the church, and the rejection of their true and full humanity, LGBTQI persons have an inalienable right to call upon the God, to quote Belhar, “who in a special way (is) the God of the destitute, the poor and the wronged.”

Massive Konflikte über die Haltung zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen

2011, als der Jurist Mogoeng Mogoeng vom damaligen Präsidenten Jacob Zuma zum Vorsitzenden des Verfassungsgerichts ernannt wurde, stellte Boesak – wie viele andere Frauen- LGBTIQ+Menschenrechtsverteidiger*innen — die Frage nach dessen Eignung für dieses hohe Amt. Denn Mogoeng, der während der Apartheid in der regimetreuen Homelandjustiz gearbeitet hatte, hatte zuvor bei Strafprozessen gegen Vergewaltiger deren Taten trivialisiert, den Opfern eine Mitschuld gegeben und gegenüber den Tätern große Milde walten lassen, so dass sie mit minimalen Strafen davonkamen. Als einfacher Laienprediger mit der Bibel als höchster Richtschnur vertrat Mogoeng patriarchale und homophobe Gender-Vorstellungen, etwa „Heilung von Homosexualität“ durch Gebete, der Pfingstkirche Winner Chapel International, einer vom nigerianischen Multi-Millionär David Oyedepo gegründete und auch in Südafrika ansässigen Mega-Kirche. 2019 – also noch während seiner Amtszeit als vorsitzender Verfassungsrichter – liess sich Mogoeng von der Redeemed Christian Church of God (RCCG), einer ebenfalls von einem nigerianischen Multi-Millionär geleiteten homophoben Mega-Kirche, zum „Assistant Pastor“ ordinieren. Unterstützung erhielt Mogoeng auch von der evangelikalen His People Church und dem daran angeschlossenen Family Policy Institute, das von christlich-fundamentalistischen und homophoben Lobbyorganisationen wie Family Watch International aus den USA gefördert wird. Auch in den Medien fanden bibeltreue Gegner von sexuellen Minderheiten Fürsprecher, was u.a. Dr. Boesak kritisierte, so den Journalisten Jon Qwelane, der zwar für eine homophobe Zeitungskolumne zur Diskussion in der Anglikanischen Kirche über die Ordinierung von Homosexuellen wegen Hassrede verurteilt wurde. Dennoch entsandte ihn die Zuma-Regierung während des langjährigen Verfahrens als Botschafter Südafrikas nach Uganda, wo die dortige Presse Homophobie schürte. Boesak warnte:

there is also the tyranny of cultural chauvenism, homophobic prejudices and societal perceptions, in many cases driven by the media and propagated by churches, which exert enormous pressure over against what we know to be the call of the Gospel. There are frightening reasons why so many LGBTQI Christians suppress their identity …”.

Ein Gesetzesentwurf gegen Hassrede in Südafrika durchlief ab 2016 die Gesetzgebungsgremien und ist Ende 2023 noch nicht gültig.

Homo- und transphobe Hassprediger

Neben einzelnen Kirchen setzen auch US-amerikanische rechte Netzwerke, wie das Christian Action Network, alles daran, politisch Einfluss zu nehmen – oft durch Konservative vor Ort, die eine moralische Erneuerung sowie christliche Ehen verlangen und Rechte für Homosexuelle ebenso verteufeln wie das Abtreibungsrecht. Unter Jacob Zuma bildeten sie 2009 den National Interfaith Leaders’ [Leadership] Council, geleitet u.a. von der ursprünglich von einem weißen homophoben Bodybuilder und Nachtclub-Türsteher gegründeten Rhema Bible Church, mit der Zuma enge Kontakte pflegte. Dieses Beratungsgremium, das 2011 in National Interfaith Council of South Africa umbenannt wurde, übertrumpfte den südafrikanischer Kirchenrat SACC, der Widerstand gegen das Apartheidregime geleistet hatte und nach 1994 Korruption in der Regierung kritisierte. Bereits 2006, als Zuma wegen eines Korruptionsskandals als Vizepräsident abgesetzt und von einer HIV-positiven Lesbe wegen Vergewaltigung angezeigt worden war, sagte er am nationalen Feiertag zur Zelebrierung kultureller Vielfalt, Ehen von Homosexuellen seien eine Schande für die Nation und für Gott.

Auch andere ranghohe Politiker traten in umstrittenen (Pfingst-)Kirchen auf, etwa in der Grace Bibel Church in Soweto unter Bischof Mosa Sono, der den selbsternannten ghanaischen Bischof Dag Heward-Mills, einen als Megastar unter den Predigern geltenden Multi-Millionär, eine homophobe Hasspredigt halten ließ und sich danach nicht wirklich entschuldigte. Dennoch waren hier später auch ranghohe ANC-Politiker zu Gast, u.a. Präsident Cyril Ramaphosa und der mit Blick auf massive Korruption in die Kritik geratene Vize-Präsident Paul Mashatile.

Der promovierte Theologe Boesak argumentierte aus seiner fundierten Bibelkenntnis heraus und unter Bezug auf die neueste theologische Fachliteratur gegen selektive homophobe Deutungen von Bibelzitaten – u.a. durch juristische Amtsträger. Er warnte davor, dass diese auch zur Rechtfertigung von Hassgewalt genutzt werden könnten, zumal immer wieder schwarze Lesben vergewaltigt und umgebracht würden, um ihre Sexualität zu „korrigieren“ und die meisten Täter mit milden Strafen rechnen könnten. Dagegen müsse vorgegangen werden, um weitere derartige Bibeldeutungen durch das Verfassungsgericht zu vermeiden. Konkret sagte er:

the challenge is to resist, through critical theological and biblical analysis, the grim possibility that Constitutional Hill will become a paradigm for another hill where new crosses will arise, upon which the victims of faith will be crucified and where those who penetrate these crucifixions feel no remorse, because their judgements, in the church and on the Bench, are “founded in the Holy Bible” and their hands are washes in the blood of the Lamb.”

Hürden und Rückschläge gemeinsam überwinden

Während einer Konferenz zu Erfahrungen sexueller Minderheiten mit Kirchen im Juni 2019 in Durban hielt Dr. Boesak die Eröffnungsrede und kritisierte Kirchen wegen ihrer Intoleranz gegenüber queeren Gläubigen, dem mangelnden Auftreten gegen die Unterdrückung von Marginalisierten und der inkonsistenten Bibellektüre. Sie würden ihre eigenen Prinzipien verraten. Demgegenüber sei es wichtig, unter Berufung auf Gott Christus und die christliche Kirche Gemeinsamkeiten zu zelebrieren und Stellung zu beziehen. Im Wortlaut:

It is time to break through the backlash! It is time to embrace our common belonging to Christ, our common membership of Christ’s church, to celebrate our binding as human beings created in the image of God, and rejoice in our shared future as loved ones of a just, compassionate loving God.”

Inklusive & Affirming Ministries (IAM)

https://iam.org.za/team/

IAM wurde 1995 gegründet, zunächst als Gay and Lesbian Christian Outreach bezeichnet und 2001 in Inclusive & Affirming Ministries umbenannt. IAM arbeitet von Kapstadt aus, um gläubige sexuelle Minderheiten in Kirchen zu stärken, also ihre Menschenrechte und die in der südafrikanischen Verfassung verbrieften Rechte in Kirchen zu fördern. IAM kooperiert mit Gemeinden, Aktivist*innen und Initiativen im südlichen Afrika sowie in Uganda, Kenia und Ghana sowie dem Global Interfaith Network for People of all Sexes, Sexual Orientations, Gender Identities and Expressions (GIN-SSOGIE), das 2018 zu einer internationalen Konferenz in Johannesburg zusammenkam und dabei die Johannesburg Deklaration zu Familie und traditionellen Werten verabschiedete, die ausdrücklich Regenbogenfamilien einbezog. 

https://iam.org.za/about-iam/

Hinzu kommt die IAM-Mitwirkung in der Referenzgruppe zur menschlichen Sicherheit des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK/WCC). Ausgangspunkt der Arbeit mit religiösen Autoritäten und Gemeindemitgliedern ist ein handlungsorientierter, intersektionaler Ansatz, der auf Dialoge zur Transformation setzt. Dazu zählen Bibellektürekurse, die biblische Zitate kontextualisieren und dazu anleitende IAM-Schulungsmaterialien nutzen. Auch die Mitwirkung an der Ausbildung junger Geistlicher zählt zu den Arbeitsbereichen von IAM

We believe in Change Konferenz, 07.09.2023, Osnabrück, copyright: Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Hinzu kommen Trainings von Nichtregierungsorganisationen sowie zivilgesellschaftliche Kooperationen in der Advocacy-Arbeit zur Interessenvertretung von sexuellen Minderheiten. So hatte IAM konkrete Vorschläge für die neue Verfassung in Südafrika und zur Verbesserung der LSBTIQ+-Inklusion in südafrikanischen Kirchen formuliert, wie IAM-Direktorin Ecclesia de Lange in ihrer Videobotschaft anlässlich der internationalen Konferenz „We believe in change“ der Hirschfeld-Eddy-Stiftung am 7. September 2023 in Osnabrück skizzierte. In dem Kontext unterstrich sie auch ihr Interesse an Kooperationen mit (Entwicklungs)organisationen in Deutschland, die an der Überwindung von religiös motivierter Homo-/Bi-/Transphobie in Afrika arbeiten.

Rev. Ecclesia de Lange, WBIC-Konferenz, Osnabrück, 07.09.2023, copyright: Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Inclusivity and Affirmation Index: Veränderung innerkirchlicher Haltungen

Für innerkirchliche Veränderungen ist der Inclusivity Affirmation Index ein Instrument, das kirchlichen Amtsträger*innen und LSBTIQ+ Menschen helfen soll, die jeweilige Kirchengemeinde für mehr Inklusion und Partizipation von LSBTIQ+ Menschen zu mobilisieren und dafür auch den Ist-Zustand zu bewerten. Er beinhaltet theologische Aspekte, wie den Umgang von Kirchengemeinden mit der bisherigen Diskriminierung von LSBTIQ+ Menschen und die Frage, ob es dafür eine offizielle Entschuldigung gab. Zudem wird beispielsweise gefragt, ob eine Kirchengemeinde Gender-Zuschreibungen sowie die Ablehnung von LSBTIQ+ Menschen auf der Grundlage der Bibel vermeidet und jegliche Diskriminierung (u.a. auf der Basis von race oder sozialer Herkunft) zu verhindern versucht. Hier werden intersektionale und transformative Ansätze für notwendig erachtet, um historisch geprägte Ungleichheiten wie Rassismus, Sexismus und Armut zu überwinden, zumal etliche LSBTIQ+ Menschen auch damit konfrontiert sind.

Für Führungsaufgaben und Ethik hilft der Inclusivity and Affirmation Index zu ergründen, wie divers die Zusammensetzung kirchlicher Gremien ist, ob eine Kirchengemeinde LSBTIQ+ Menschen in Kirchen-/Führungsämtern begrüßt, ihre Anliegen bei Policy-Entscheidungen berücksichtigt und Workshops zu Gender und Sexualität anbietet. Zudem wird gefragt, ob eine Kirchengemeinde Erfahrungen von LSBTIQ+ Menschen in gemeinsame Bibellektüre einbezieht und in die Liturgie aufnimmt, eine gender-sensible Sprache und keine binären Pronomen verwendet, LSBTIQ+ Menschen bei kirchlichen Zeremonien nicht diskriminiert. Neben dem Blick auf nicht-diskriminierende Eheschließungen wird gefragt, ob eine Kirchengemeinde Regenbogenfamilien pastoral unterstützt, Kinder von LSBTIQ+ Eltern tauft und didaktisches Trainingsmaterial für die inklusive kirchliche Jugendarbeit bereitstellt. Hinzu kommt die Frage nach gender-neutralen Toiletten und Kleiderordnungen. Im Bereich der Advocacy-Arbeit wird danach gefragt, ob eine Kirchengemeinde Hassgewalt an LSBTIQ+ ablehnt, sich an der Öffentlichkeitsarbeit für LSBTIQ+ Menschenrechte beteiligt und öffentlich auch Toleranz gegenüber LSBTIQ+ in Schulen fordert.

Intersektionale und transformative Ansätze

Neben dem Inklusionsindex trug IAM zwischen 2018 und 2020 durch das Schools Out Projekt, das es in Partnerschaft mit dem Human Science Research Council und Nichtregierungsorganisationen realisierte, zur Überwindung von Hassgewalt und Diskriminierung an Schulen bei. Konkret ging es um die Bedeutung von Religion für eine umfassende Sexualerziehung in Südafrika und in weiteren Ländern im südlichen Afrika, wobei die Einstellungen der jeweiligen Lehrkräfte eine Schlüsselfunktion hatten. Hinzu kamen Bedenken vor allem von Eltern, Kirchen und repressiven Schulverwaltungen. Die Projektergebnisse verdeutlichten, wie wichtig die Einbeziehung von SOGIE-Rechten und Religion für eine umfassende Sexualerziehung und die Überwindung sexueller Gewalt sind. Diese Erkenntnisse sollen in didaktischen Fortbildungen für Lehrkräfte im Rahmen des Life Orientation-Curriculums berücksichtigt werden.

Der von IAM initiierte ökumenische Queer Think Tank schafft ein Netzwerk von kirchlichen Amtsträgern, die sich gegenseitig unterstützen und kooperieren sollen. Er diskutiert Fragen zum Training von Jugendleiter*innen, zum Umgang mit der jeweiligen Kirchengeschichte und patriarchalen Strukturen in der theologischen Ausbildung, zur inklusiven pastoralen Fürsorge, zu sicheren Orten für queere Menschen in Kirchen und zur Organisation von Berater*innengremien in einzelnen Gemeinden.

Nennenswert ist auch das Queer Narrative Archive, denn es dokumentiert persönliche Geschichten von LSBTIQ+ Menschen in der Dutch Church (DRC); es entstand in Partnerschaft mit IAM und der Universität KwaZulu-Natal, konkret mit dem Ujamaa Centre der dortigen School of Religion, Philosophy and Classics, einem wichtigen Kooperationspartner auch für Fortbildungen und praxisorientierte Forschungen sowie Mentoring für Studierende.

Für die Allianzbildung mit außerkirchlichen Gruppierungen empfiehlt der Queer Think Tank die Auseinandersetzung mit Intersektionalität, konkret mit Identitätszuschreibungen auf der Basis von Race, Alter, Behinderung, Gender, Sexualität; solch ein Vorgehen würde helfen, Verbindungen zur Kirchengeschichte herzustellen, konkret zu rassistischen Ausgrenzungen während der Apartheid und im Kolonialismus.

Es gibt viele Möglichkeiten, wie Kirchen inklusiver werden können

IAM erklärt, es gebe viele Möglichkeiten, wie Kirchen inklusiver werden können. Dazu zählen: Änderungen kirchlicher Leitlinien und der Bibelstudien, moderierte Dialoge, Care und Unterstützung. Es gehe vor allem darum, Jesus Weg gegen Unrecht zu folgen. Doch diese Ausrichtung auf Gerechtigkeit erfordere Handeln gegen etablierte Normen und Praktiken, die LSBTIQ+ Menschen diskriminieren und entwürdigen. Alle Kirchenmitglieder sollten ihre eigenen Möglichkeiten und Machtpositionen nutzen, um entsprechend zu handeln.

Fußnote: Coloureds ist, heute eine in Südafrika zeithistorisch einzuordnende (Eigen-)Bezeichung, ursprünglich eine der rassistischen Kategorien während der Apartheid.
Dieser Text verwendet sowohl die Abkürzung LSBTIQ+ als auch LGBTIQ*.

Literaturhinweise:

Boesak, Allan Aubrey: “Founded on the Holy Bible…”. A Bible-believing judge and the ‘sin’ of same-sex relations, in: Journal of Gender and Religion in Africa, vol. 17, no. 2, 2011, S. 5–23.

Davids, Hanzline R. / Matyila, Abongile / Sithole, Sindi / van der Walt, Charlene: Stabanisation. A Discussion paper about disrupting backlash by reclaiming LGBTI voices in the African church landscape, The Other Foundation, Johannesburg 2019.

Germond, Paul / Gruchy, Steve de: Aliens in the household of God. Homosexuality and Christian faith in South Africa, David Philip Publishers, Cape Town 1997.

Gunda, Masiiwa Ragies: Silent no longer. Narratives of engagement between LGBTI groups and the churches in Southern Africa, The Other Foundation, Johannesburg 2017.

Judge, Melanie: Keeping the faith. Working at the crossroads of religion and sexual & gender rights. A discussion paper on critical issues, actors, initiatives and opportunities. Heinrich Boell Foundation, Cape Town 2019.

Marnell, John: Seeking sanctuary. Stories of sexuality, faith and migration, Wits University Press, Johannesburg 2021.

van Klinken, Adriaan / Chitando, Ezra: Race and sexuality in a theology of ubuntu, Desmond Tutu, in: Adriaan van Klinken, Ezra Chitando (eds.): Reimagining christianity and sexual diversity in Africa, Oxford University Press, Oxford, 2021, S. 23–38. und in: Nadar, Sarojini et al. (eds): Ecumenical Encounters with Desmond Mpilo Tutu. Visions for justice, dignity and peace, UWC Press, Cape Town, 2021, S. 99–108.

West, Gerald O. / Kaoma, Kapya / van der Walt, Charlene: When faith does violence. Re-imagining engagement between churches and LGBTI groups on homophobia in Africa, The Other Foundation, Johannesburg 2017.

Dr. Rita Schäfer, freiberuflich tätige Afrikawissenschaftlerin.

Ein Beitrag im Rahmen des ProjektsWe believe in change“: Menschenrechte im Spannungsfeld von Religionsfreiheit und Nicht-Diskriminierung der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Alle Blogbeiträge zum Projekt finden sich unter dem Tag WBIC-2023.

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