Zehn Jahre Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Wie die Zeit vergeht! Am 11. Juni 2007 fand im Berliner Roten Rathaus das vom LSVD organisierte Panel „Engagement für die Menschenrechte von LSBT stärken“ statt. In der Kooperationsveranstaltung mit ILGA und dem Forum Menschenrechte diskutierten Akteur*innen der Menschenrechtspolitik über Strategien zur Überwindung der strafrechtlichen Verfolgung von Homosexualität in über 80 Staaten. Anlässlich dieser Veranstaltung gab der LSVD die Gründung seiner Hirschfeld-Eddy-Stiftung bekannt.
Bald unterstützten wir intensiv Aufklärungsarbeit in Nicaragua — zunächst mit eingeworbenen Spendengeldern, ab 2010 dann mit Hilfe des Auswärtigen Amtes. Unsere Kolleg*innen vom dortigen Red de Desarrollo Sostenible erarbeiteten einen Nationalen LSBTI-Aktionsplan und einen Leitfaden für die LSBTI-Berichterstattung, führten Workshops mit angehenden Journalist*innen und Seminare zu Strategien der Lobbyarbeit für LSBTI durch. Heute geben sie ihre Erfahrungen auch an Arcoíris, unseren Kooperationspartner im Nachbarland Honduras, weiter.
2008 führten wir mit Nash Mir in Kiew unsere erste Menschenrechtskonferenz zum Thema Nichtdiskriminierung und LSBTI in Osteuropa durch. Es folgten ähnliche Veranstaltungen 2010 in Riga, 2012 in St. Petersburg, 2014 in Belgrad und 2016 in Prishtina. Immer mit im Boot sind eine örtliche LSBTI-Partnerorganisation und eine allgemeine Menschenrechtsorganisation. Themen sind der Austausch über Allianzenbildung, Sensibilisierungs- und Akzeptanzarbeit oder Lehren aus der Geschichte mit Multiplikator*innen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik.
Auch mit Aktiven aus der Türkei und dem Iran haben wir von Beginn an zusammengearbeitet. Mit Spenden unterstützten wir die Arbeit von Lambda Istanbul und Pink Black Triangle Izmir. Für das exiliranische Flüchtlingsprojekt Iranian Railroad for Queer Refugees in Kanada sammeln wir seit 2009 Spenden. Zum Mittleren Osten und nach Nordafrika bestehen seit dem arabischen Frühling enge Kontakte, etwa durch unsere Zusammenarbeit mit dem panarabischen Mantiqitna-Netzwerk und durch die vom Auswärtigen Amt geförderte Besuchsreise von Aktivist*innen aus der MENA-Region nach Berlin Ende 2015. Eine produktive Kooperation verbindet uns mit den Freund*innen in Tunis, mit denen wir für 2017 mehrere Projekte vereinbart haben, u.a. eine Besuchsreise in die Partnerstadt Köln.
Um voneinander zu lernen, beantragen wir die HES-Besuchsreisen beim Auswärtigen Amt, dem Goethe-Institut oder der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Kolleg*innen berichten uns aus ihren Ländern, von ihren Problemen und ihren Lösungsstrategien, Arbeitsschwerpunkten und Zielsetzungen. In den Workshops berichten wir auch von unseren Erfahrungen und bringen sie Kontakt zu deutschen Politiker*innen, Menschenrechtsaktivist*innen, Stiftungen, Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit oder Vertreter*innen der Religionen. Unvergessen ist der Besuch einer Delegation aus Subsahara-Afrika. Bei ihrem Besuch im Haus der Deutschen Bischofskonferenz berichteten sie den erschütterten Religionsvertretern aus erster Hand, was deren Glaubensbrüder anrichten. In Verfolgerstaaten wie Simbabwe, Kamerun, Uganda oder Tansania gilt noch die zu Kolonialzeiten eingeführte Kriminalisierung. Religiös motivierte gesellschaftliche Homo- und Transphobie sind weit verbreitet.
Auf dem afrikanischen Kontinent kriminalisieren 37 Staaten Homosexuelle. In Nigeria, Kamerun oder Simbabwe kommt es meist in Wahlkampfzeiten immer wieder zu Strafrechtsverschärfungen oder entsprechenden Gesetzesvorhaben. Zusammen mit unerträglichen Hasspredigten in den Gotteshäusern, Parlamenten oder Medien führt das zu grausamen Gewalttaten auf den Straßen der Großstädte. Und doch lassen sich die meist jungen Aktivist*innen in Kampala, Harare oder Nairobi nicht einschüchtern. Mutig kämpfen sie für ihre Rechte und die der nachfolgenden Generationen. Für ihre beeindruckenden Erfolge erhielt Kasha Nabagesera 2015 den Alternativen Nobelpreis und Frank Mugisha 2011 den Robert F. Kennedy Human Rights Award. Beide arbeiten für ugandische Kooperationspartner. Mit dem LSVD-Projekt Masakhane arbeiten wir ebenfalls mit afrikanischen Aktivist*innen zusammen.
Seit Jahren beschäftigt uns auch die Situation in Russland. Das Putin-Regime schränkt durch Antihomosexualitätsgesetz und Repressalien gegen zivilgesellschaftliche Organisationen die Menschenrechtsarbeit ein. Jüngst erfuhr die Öffentlichkeit von der barbarischen und pogromartigen Homosexuellenverfolgung in der Teilrepublik Tschetschenien. Wir werden auch in Zukunft unsere Freund*innen vom Russian LGBT Network, von Coming out oder Side by Side in St. Petersburg unterstützen.
Auf dem Balkan arbeiten wir seit 2013 eng mit Labris und seit zwei Jahren mit der regionalen Organisation LGBTI Equal Rights Association (ERA) in Belgrad zusammen. ERA wurde im September 2015 im Nachgang einer von uns unterstützten Konferenz in Belgrad gegründet. Mit ihren über 40 LSBTI-Mitgliedsorganisationen will ERA einen positiven Wandel in der Gesellschaft anstoßen und die LSBTI-Bewegungen der Region befähigen, für ihre Rechte und ihren Schutz einzustehen. 2017 führen wir gemeinsam mit ERA und mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes eine Menschenrechtskonferenz in Podgorica, Montenegro durch. Im Herbst 2017 werden uns zwölf Kolleg*innen aus der Region in Berlin besuchen. Wie bei allen bisherigen Besuchsreisen planen wir wieder eine halbtägige Konferenz im Auswärtigen Amt. Thema sind die Einflussmöglichkeiten deutscher und europäischer Politik und Zivilgesellschaft auf den gesellschaftlichen Wandel.
Im Inland sensibilisierten wir in den letzten zehn Jahren die Menschenrechtspolitik und Entwicklungszusammenarbeit sowie die Nord-Süd-Medien für das Thema LSBTI und Menschenrechte. Im Auswärtigen Amt, anderen Stiftungen oder EZ-Organisation sind wir gefragte Gesprächspartner*innen. Mit unserer HES-Schriftenreihe und vielen Beiträgen für entwicklungs- oder menschenrechtspolitische Medien haben wir informiert und aufgeklärt. Seit 2011 ist bei der HES auch die LGBTI-Plattform Menschenrechte angesiedelt, die von der Dreilinden gGmbH gefördert wird. Ihr Ziel ist die Inklusion der Belange von LSBTI in der Außenpolitik und der EZ. Wir kooperieren z.B. mit VENRO, Brot für die Welt, dem Auswärtigen Amt, dem BMZ oder der GIZ. Wichtige Sensibilisierungsarbeit leistet die Veranstaltungsreihe „Crossings & Alliances“. Zentrales Projekt der Plattform ist die Yogyakarta Allianz, die regelmäßig in Berlin zusammenkommt und eine wichtige zivilgesellschaftliche Ansprechpartnerin für staatliche
Stellen ist.
Heute arbeiten wir mit rund 100 Partnerorganisationen aus den In- und Ausland zusammen. Wir werden zu wichtigen Veranstaltungen eingeladen, um unsere Expertise einzubringen. In zehn Jahren ist es uns gelungen, rund 1,5 Mio. Euro für die Unterstützung von LSBTI-Menschenrechtsprojekten im globalen Süden und Osteuropa zu akquirieren. Ein schöner Erfolg, der uns ermutigt, die Arbeit voranzutreiben.
Klaus Jetz
Geschäftsführer
der Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Fotos 1,3,7: Caro Kadatz; Fotos 2,4,5: Hirschfeld-Eddy-Stiftung; Foto 6: Liljana Bozovic