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Global Culture Wars: Christliche Kirchen im Kampf gegen Menschenrechte?

Dr. Regina Elsner, We believe in change, Foto: Benjamin Beutler ©Hirschfeld-Eddy-Stiftung

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Keynote von Prof. Dr. Regina Elsner, Universität Münster
Konferenz „We believe in change: Wie kann ein Religionsfrieden für queere Menschen weltweit aussehen?” 

7. September 2023 in der Kunsthalle Osnabrück

Menschenrechte und Christentum: das ist eine sehr komplexe, und sehr belastete Beziehung. Keine der christlichen Kirchen hat es sich in vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten leicht gemacht mit der Akzeptanz der Vorstellung, dass alle Menschen, also jeder einzelne Mensch, die gleichen Rechte und Freiheiten genießt. 

Auf der deklarativen Ebene haben die meisten Kirchen dennoch in den vergangenen Jahrzehnten einen Umgang mit diesen Menschenrechten gefunden, sei es aus rechtsstaatlicher Notwendigkeit oder aus theologischer Aneignung. In vieler Hinsicht überschneiden sich die Normen, die sich aus einer menschenrechts-orientierten Politik ergeben, mit den grundlegenden Werten des Christentums: die Würde des Menschen, das Recht auf Leben, die Bewahrung der Lebensgrundlagen, soziale Gerechtigkeit, Nächsten- und Fremdenliebe. Darum ist es wenig überraschend, dass die christlichen Kirchen weltweit zu wichtigen Partnern des internationalen Bemühens um eine Stärkung und Garantie der Menschenrechte geworden sind. Im Kampf gegen Hunger, für Kinderrechte und medizinische Versorgung, gegen bewaffnete Konflikte und Ausbeutung von Lebensgrundlagen, für einen Dialog auf Augenhöhe. Wenn man sich das weltweite Engagement der christlichen Kirchen für ein menschenwürdiges Leben vor Augen führt, kommt einem kaum in den Sinn, dass diese Kirchen gegen Menschenrechte kämpfen könnten.

Dieser weitgehende Konsens bricht sich seit vielen Jahren an dem Schlagwort „Gender“. Der Grund liegt – und darüber wurde ausführlich geforscht und gesprochen – vor allem in der christlichen Naturrechtslehre, die eine unhintergehbare Binarität und Komplementarität der zwei Geschlechter vorsieht, die Gottgewollt ist. Jede Auflösung dieser Binarität und Komplementarität widerspricht Gottes Wille, ist also Sünde und stellt die natürliche Ordnung der Welt in Frage. Das Wort „Gender“ ist zu einem Angstbegriff in religiösen Diskursen geworden, der populistisch genutzt wird, um eine ganze Sammlung an Themen in der Diskussion abzuräumen: die Auflösung der traditionellen Familie, Selbstbestimmungs- und reproduktive Rechte vor allem von Frauen, gleichgeschlechtliche Partnerschaften, rechtliches Vorgehen gegen häusliche Gewalt, sexuelle Aufklärung in der Schule, Rechte von trans-Personen usw. Viele dieser Themen haben schon lange in den theologischen Debatten eine Rolle gespielt – als Anfragen an die Moral, das persönliche sittliche Verhalten der Gläubigen. Das hat sich verändert, seitdem Gender-Gerechtigkeit zu einem strategischen Ziel für innen- und außenpolitisches Handeln geworden ist.

Die rechtliche Durchsetzung von Selbstbestimmungsrechten und Maßnahmen zu mehr gender-Gerechtigkeit auf nationaler, vor allem aber auf internationaler Ebene, haben konservative Akteure global aktiviert. Bereits 1991 prägte James Hunter den Begriff der „Culture Wars“ und beschrieb damit die zunehmende Polarisierung zwischen konservativen und liberalen Kräften um die Deutungshoheit über den öffentlichen Raum der USA. Kirchen spielen in diesen Culture Wars eine unklare Rolle: in den ideologischen Zugängen zu Gender-Fragen und dem Thema der Säkularisierung der Politik stehen die meisten Kirchen auf der Seite der konservativen Kräfte, als Institutionen lassen sie sich aber nur begrenzt von einer Seite vereinnahmen. Der Kampf geht damit quer durch alle Konfessionen und es ist damit auch ein Kampf um die Deutungshoheit über den kirchlichen Raum.

Mit dem Ende des Kalten Krieges wurden die Culture Wars global, und dabei spielten, wie vor allem auch die aktuellen Studien von Kristina Stoeckl und anderen zeigen, die Kirchen eine zentrale Rolle. Mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung bekennt sich heute zum Christentum und die katholische Kirche stellt die weltweit größte nichtstaatliche Organisation dar. Kaum eine Institution ist global so gut vernetzt, wie die katholische Kirche, aber auch die protestantischen und orthodoxen Kirchen sind weltweit vertreten. Ideen, die die Kirchen zum gemeinsamen, gesellschaftlichen Leben mit sich tragen, prägen die ganze Welt. Der globale Einsatz der Kirchen für Menschenrechte wird darum massiv konterkariert von ihren Verstrickungen in die globalen Culture Wars. Der Kampf gegen Menschenrechte, den die Akteure der christlichen Rechten international und national betreiben, betrifft die Kirchen in mehrfacher Hinsicht.

  • Diskursverschiebungen: Keine christliche Kirche äußert sich offiziell als aggressive Gegnerin der Menschenrechte im Bereich sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Das Prinzip der Menschenwürde wird von allen christlichen Kirchen als zentraler Wert unterstrichen, es wird also vor allem auch physische Gewalt ausdrücklich abgelehnt. Allerdings öffnen Einschränkungen im Diskurs Türen für Populismus. Ich erinnere hier nur an die Aussagen von Papst Franziskus, der weitgehend für eine Öffnung des Vatikan zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen gelobt wird: Er nennt die „Gender-Ideologie“ „ideologischen Kolonialismus“, der “das anthropologische Fundament der Familie aushöhlt “, einen “Fehler des menschlichen Geistes”. Dabei geht es nie um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den gender-Theorien oder den Konzepten, die etwa hinter dem Begriff Gender in der Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt stecken. Es geht immer um eine extrem verkürzte und populistisch zugespitzte Idee der Auflösung und Beliebigkeit der Geschlechter. Damit wird jedoch der Gerechtigkeits-Anspruch, an den die Kirche fraglos anschließen könnte, vollständig ausgeblendet und einem angstbesetzten Populismus Raum gegeben. Eine sachliche Diskussion über Gender-Gerechtigkeit und über den Mehrwert des Gender-Begriffs im Menschenrechtsdiskurs ist damit in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden.
  • Vereinnahmung: christliche Akteure im Kampf gegen gender-Gerechtigkeit sprechen selten gegen Menschenrechte, sondern nutzen ganz im Gegenteil die Rhetorik der Menschenrechte. Sie spielen dabei ganz zentral verschiedene Menschenrechte gegeneinander aus, in erster Linie die Religions- und Meinungsfreiheit gegen die Selbstbestimmungs- und Antidiskriminierungssrechte. So wird das Recht auf Religionsfreiheit gleichgesetzt mit dem Recht, homophobe Äußerungen zu verbreiten oder gegen Schulbücher vorzugehen. Dabei werden regelmäßig Klagen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgebracht, wie jüngstens die Klage eines orthodoxen Bischofs aus Griechenland, der von einem griechischen Gericht wegen Hassrede bestraft wurde. Das heißt, dass das Instrumentarium internationaler Menschenrechtsstrukturen genutzt wird, um den Kampf gegen Menschenrechte zu führen. Dieser Mechanismus hat noch einen zweiten Effekt: gerade die Religionsfreiheit hat den Zugang der Kirchen zu den Menschenrechten geöffnet, jedoch haben viele zivilgesellschaftliche und politische Akteure der Religionsfreiheit – auch aufgrund der Spannungen mit anderen Menschenrechten – immer weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Angesichts von tatsächlich massiv stattfindender Verfolgung aufgrund von Religionszugehörigkeit in vielen Teilen der Welt wird es möglich, dass konservative Akteure besonders schlagkräftig dieses Menschenrecht besetzen.
  • Netzwerke: Ökumenische Netzwerke sind in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Plattformen der christlichen Menschenrechtsarbeit geworden. In Fragen von Klimaschutz, wirtschaftlicher Gerechtigkeit, Flucht und Migration konnte die globale Sichtbarkeit und Wirkung des christlichen Engagements so deutlich erhöht werden. Gleichzeitig haben sich aber auch stabile ökumenische Netzwerke der christlichen Rechten gebildet. Viel davon ist sehr personengebunden – die us-amerikanisch-russische Kooperation des World Congress of Family/Organisation for the Family – einem der bedeutendsten internationalen rechts-konservativen Netzwerk – lebt von einzelnen wohlhabenden Personen, die sich als evangelikal bzw. russisch-orthodox identifizieren. Allerdings sind diese hervorragend in ihre jeweiligen Kirchen hinein integriert. Agenda Europe, ein extrem rechtes Netzwerk innerhalb Europa, oder Ordo Iuris, eine polnische Juristen-Vereinigung mit dem Schwerpunkt auf rechtlichen Kämpfen gegen liberale Gesetzgebungen, verstehen sich nicht als religiöse Organisationen, sind jedoch mit Vertretern der großen Kirchen, vor allem orthodox und katholisch, sehr gut vernetzt. Diese „Ökumene des Hasses“ ist eine aktive Gegenbewegung gegen die als „liberal“ verschriene offizielle Ökumene, die etwa der ÖRK oder die KEK vertreten, und schwächt diese dadurch vor allem kirchenintern und international. Zu diesen Netzwerken gehört aber auch etwa die sogenannte „strategische Allianz“ gegen liberale Tendenzen in der Theologie und säkularen Gesellschaft, der die Russische Orthodoxe Kirche mit dem Vatikan viele Jahre gepflegt hat.

Dass all diese Bewegungen im Kontext der Culture Wars keine marginalen Aktivitäten sind, hat Russlands Agieren der vergangenen Jahre deutlich gezeigt – zumindest für die, die sich mit dieser Region und den orthodoxen Kirchen beschäftigen. Da ist zum einen Russlands Krieg gegen die Ukraine, der ausdrücklich auch im Namen traditioneller Werte, des Schutzes der Religionsfreiheit und einer Verteidigung gegen die Gender-Ideologie geführt wird. Es ist damit der erste Krieg, der ausdrücklich mit Waffengewalt gegen gender-Gerechtigkeit geführt wird. Diese Argumentation mobilisiert einerseits die russische Bevölkerung, die seit Jahrzehnten dem polarisierenden Diskurs der Verteidigung gegen den kolonialisierenden dekadenten Westen ausgesetzt ist und in dem „Gayropa“ den Kern des Hasses gegen die westliche Gesellschaft ausdrückt.

Aber diese Kriegsideologie verhindert vor allem auch eine ausdrückliche Kritik der anderen christlichen Kirchen, etwa des Vatikan, und vieler Gesellschaften im globalen Süden, die ebenso gegen den angeblichen westlichen Werte-Kolonialismus kämpfen. Für einen Teil der Kirchen – etwa die katholische Kirche mit ihrer strategischen Allianz, und viele evangelikale Gemeinschaften – ist eine ausdrückliche Verurteilung der Kriegsideologie inhaltlich nicht möglich, da sie dann ihre eigene offizielle Haltung ändern müssten. Für viele andere ist eine so ausdrückliche Verurteilung nicht möglich, etwa im ÖRK, da sie dann viele globale Partner vor den Kopf stoßen würden.

Neben dem Krieg ist Russland jedoch auch in anderen Regionen der Welt zum zentralen Akteur gender-feindlicher Politiken geworden – wenn auch selten so sichtbar. Seit Januar 2022 hat der Russische Orthodoxe Kirche offiziell eine Kirchenstruktur für ganz Afrika gegründet. Diese Struktur widerspricht dem orthodoxen Kirchenrecht, dementsprechend orthodoxe Kirchen keine Strukturen auf dem Territorium einer anderen Kirche gründen dürfen. Laut der russischen Kirche gibt es jedoch in Afrika keine gültige orthodoxe Kirche mehr, seit das Patriarchat von Alexandrien die Orthodoxe Kirche der Ukraine anerkannt hat und damit – aus Sicht der ROK – keine gültige Kirche ist. Tatsächlich begann die Ausbreitung der ROK in Afrika früher und durch die diplomatischen Vertretungen Russlands. Nun aber kauft sie sich nachweislich aktiv und selbständig in die afrikanischen Länder hinein – aktuell gibt es Gemeinden in 25 afrikanischen Ländern.

Dies wird die religiöse Landschaft verändern, denn die russische Kirche überzeugt die Menschen nicht nur mit viel Geld – für Kirchbauten, Priestergehälter und humanitäre Produkte – sondern auch mit dem Narrativ der westlichen Werte-Kolonisierung, und als Schutzmacht verfolgter Christen. Die erste Priesterweihe des Exarchats erhielt ein Priester aus Uganda – bei der Weihe ebenfalls anwesend war der katholische Bischof von Rabat in Marokko. Die ROK unterstützt mit Hilfe Russlands aktiv die bedrängten Kopten in Ägypten und in Äthiopien und vereinnahmt damit zielgerichtet die Fragen der Religionsfreiheit. Ich bin mir unsicher, inwieweit kirchliche Hilfswerke verstehen, mit wem sie es in Zukunft in ihrer Arbeit in Afrika zu tun haben werden – und ob sie eine Strategie haben, damit umzugehen?

Afrika und die Ukraine zeigen, wie entscheidend ein offensiver Umgang mit den Menschenrechten sein kann – und wie verheerend es ist, in diesem Diskurs ambivalent und unentschieden zu sein. Die Kirchen haben mit ihren internationalen Netzwerken und ihrer moralischen Autorität eine Verantwortung, der sie gerade in diesen beiden Fällen immer weniger gerecht werden. Konservative Akteure werden das auch in Zukunft nicht ungenutzt lassen, ganz im Gegenteil baut ihre Strategie genau auf diese Ambivalenz in den Kirchen. Ein Wandel – an den ich tatsächlich nicht mehr wirklich glaube – ist dringend nötig.

Keynote bei der Konferenz “We believe in change” von
Prof. Dr. Regina Elsner*, Universität Münster

*Dr. Regina Elsner ist zum 8. Januar 2024 zur Professorin für Ostkirchenkunde und Ökumenik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster ernannt worden.

Konferenzbericht
Fotos der Konferenz “We believe in change”

Konferenz im Rahmen des ProjektsWe believe in change“: Menschenrechte im Spannungsfeld von Religionsfreiheit und Nicht-Diskriminierung der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Alle Blogbeiträge zum Projekt finden sich unter dem Tag WBIC-2023.

BMJ
HES


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