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Holterdiepolter aber alternativlos

Axel Hochrein (LSVD-Bundesvorstand) - Foto: privatDie fünf spannenden Tage zur Ehe-Öffnung

Ob die Kanzlerin sich einen Tag zu früh aus dem Fenster gelehnt hat oder ob sie gar das Unvermeidliche vor dem Wahlkampf abräumen wollte, werden wir wohl nie genau erfahren. Nach über einem Vierteljahrhundert Kampf und Diskussionen machte eine Äußerung Merkels die Ehe-Öffnung von einer Frage der Zeit zu einer von fünf Tagen.

 

Juni 2017

Mit den Grünen, der FDP und der SPD haben alle möglichen Koalitionspartner für die Union nach der Bundestagswahl verbindlich zugesagt, einer Regierungskoalition nur beizutreten, wenn die Ehe-Öffnung im Koalitionsvertrag steht. Dieses Versprechen hatte der LSVD auch in seinen Wahlprüfsteinen eingefordert. Auf dem LSVD-Verbandstag im April verabschiedet er seine Forderungen zur Bundestagswahl 2017. U.a. wollten wir von den Parteien wissen: Werden Sie einen Koalitionsvertrag nur dann unterzeichnen, wenn darin die Öffnung der Ehe enthalten ist (Punkt 2.3.)? Mit diesen Zusagen wurde die Ehe für alle auch für Frau Merkel und die Union alternativlos.

 

Montag, 26. Juni 2017

Bei einer Talk-Runde „BRIGITTE-im Gespräch mit…“ fragt Ulli Köppe Angela Merkel, wann er seinen Freund heiraten dürfe. In einer ebenso langen wie verschwurbelten Antwort spricht sie davon, „… dass es eher in eine Richtung Gewissensentscheidung gehen soll…“. Noch am Abend melden die Medien, dass die Union von ihrem „harten Nein“ zur Ehe-Öffnung abrückt.

 

Dienstag, 27. Juni 2017

Unumkehrbare Dynamik: Nach einer Vereinbarung der SPD-Spitze, unabhängig vom Koalitionspartner CDU/CSU versuchen zu wollen, noch in dieser Woche eine Entscheidung über die Ehe für alle herbeizuführen, äußert sich Kanzlerkandidat Martin Schulz dementsprechend. Zwar warnt Unionfraktionschef Volker Kauder vor einem Koalitionsbruch, doch Thomas Oppermann, sein Gegenüber von der SPD-Fraktion, kontert: „Wenn es eine Gewissensentscheidung ist, dann hat auch dieser Bundestag schon ein Gewissen.“ Die SPD kündigt an, noch am Freitag derselben Woche über den schon lange im Bundestag vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates abstimmen zu lassen. Agenturen berichten, dass die CSU die Abstimmung für ihre Abgeordneten freigibt, kurze Zeit später wird selbiges auch aus der CDU-Fraktion vermeldet.

 

Mittwoch, 28. Juni 2017

Nachdem eine Beratung des Bundesratsentwurfs im Rechtsausschuss des Bundestages mit Stimmen von SPD und Union insgesamt 30 Mal vertagt wurde, empfiehlt das Gremium diesmal mehrheitlich, dass die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden soll. Damit steht fest, dass zwei Tage später im Deutschen Bundestag über die Ehe-Öffnung abgestimmt werden soll.

 

Donnerstag, 29. Juni 2017

Das Medieninteresse ist riesig. Im LSVD-Hauptstadtbüro findet die erste internationale Pressekonferenz statt. Der LSVD schreibt alle Abgeordneten der Union an und bittet sie, ihrem Gewissen zu folgen und für die Liebe zu stimmen. Die Spannung wächst bis zum Abend ins Unerträgliche.

 

Freitag, 30. Juni 2017

Pünktlich um 8.00 Uhr eröffnet Bundestagspräsident Lammert die 244. Sitzung vor vollem Haus und voller Tribüne. Eine „ersichtliche Mehrheit“ stimmt für die geänderte Tagesordnung und ermöglicht eine Abstimmung über die Ehe-Öffnung. In der Debatte kommen neben den Fraktionsvorsitzenden Abgeordnete zur Wort. Nach namentlicher Abstimmung verkündet der Bundestagspräsident um 9.10 Uhr, dass der Gesetzentwurf zur Öffnung der Ehe mit 393 Ja-Stimmen, 226 Nein-Stimmen, 4 Enthaltungen und 7 nicht abgegebenen Stimmen die erforderliche Mehrheit erhalten hat. Alle Abgeordneten der SPD, der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen sowie 75 Abgeordnete der Union stimmten für die Öffnung der Ehe.

Deutschland hat für die Liebe gestimmt. Der LSVD feiert die Eheöffnung und einen historischen Tag! Nicht nur für Lesben und Schwule, sondern auch für eine gerechtere und demokratischere Gesellschaft. Ob man in Deutschland heiraten darf oder nicht, entscheidet zukünftig nicht mehr das Geschlecht, sondern Liebe, Zusammenhalt und das Versprechen, in guten wie in schlechten Zeiten füreinander da zu sein.

 

Axel Hochrein

LSVD-Bundesvorstand

 

Foto: privat



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