Kategorien
Hirschfeld-Eddy-Stiftung Projekte Verband

Aus Angst vor Falschem nichts zu tun, ist immer falsch

Davis Mac-Iyalla

Ghanas LGBTIQ+-Community kämpft im Herbst 2022 gegen einen der queerfeindlichsten Gesetzentwürfe der Welt. Die wirtschaftliche Not im Land führt zu einer größer werdenden Anzahl hilfsbedürftiger Queers. Gewalt gegen LGBTIQ+ im Land nimmt zu. Was kann die internationale Gemeinschaft tun, um zu helfen, ohne dabei Schaden anzurichten? Darüber sprach der Journalist Dirk Ludigs mit Aktivist*innen im Land. Einhellig fordern sie mehr Vertrauen und Flexibilität bei der Unterstützung. Bei der Konditionalität, z.B. durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) gehen die Meinungen auseinander.

Zeitleiste: Homosexualität, Kolonialgesetzgebung,
Dekolonisierung in Ghana
Wichtige LGBTIQ+-Organisationen in Ghana
Links und Hintergrundinformationen
Weitere Blog-Artikel zu Ghana

Der Krieg in der Ukraine und die wirtschaftlichen Verwerfungen durch die Coronapandemie haben auch das westafrikanische Ghana erreicht: Energie- und Lebensmittelkosten explodieren, der Dollar ist so stark wie nie, die Landeswährung Cedi hat gegenüber dem Euro über ein Drittel an Wert verloren, die Inflationsrate steigt seit Anfang des Jahres unaufhörlich und lag Ende August bei 34 Prozent.

In dieser Situation musste die Regierung schon im Juli den IWF um zusätzliches Geld bitten: drei Milliarden Dollar über die nächsten drei Jahre. 

LGBT+rights Ghana

Seit Mai verlangt die Regierung außerdem eine 1,5prozentige Steuer auf alle digitalen Geldtransaktionen, das ist viel in einem Land, in dem auch Geschäfte des Alltags über das Smartphone abgerechnet werden.

All das hat die seit zwei Jahren im Land anhaltende Diskussion in der ghanaischen Gesellschaft über LGBTIQ+-Themen merklich in den Hintergrund gedrängt. „Die Gesellschaft ist des Themas müde geworden!“, stellt der Direktor von LGBT+-Rights Ghana Alex Kofi Donkor fest.

Queerfeindlichster Gesetzentwurf der Welt

Noch immer droht Ghanas queeren Communities der „Gesetzentwurf zur Förderung angemessener sexueller Menschenrechte und ghanaischer Familienwerte“ (Promotion of Proper Human Sexual Rights and Ghanaian Family Values Bill). Der Entwurf würde, sollte er in seiner jetzigen Form vom Parlament verabschiedet und vom Präsidenten unterzeichnet werden, u.a. homosexuelle Akte mit bis zu fünf Jahren und queeren Aktivismus mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestrafen, trans*Personen den Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung verbieten und der Regierung die Möglichkeit geben, inter*Personen zwangsweise einer geschlechtsangleichenden OP zu unterziehen – und das sind nur einige Punkte aus einem der queerfeindlichsten Gesetzentwürfe, die es weltweit je gegeben hat. Eingebracht worden war er im Sommer 2021 von acht Parlamentarier*innen sowohl aus der Regierungs- wie der führenden Oppositionsparteien, allen voran Sam George vom oppositionellen „National Democratic Congress“.

IDNOWA Logo

Konditionalität durch den IWF?

Doch nun eröffnet sich durch die erneute fianzielle Anfrage der Regierung beim IWF eine Möglichkeit, Druck auf Regierung und Parlament auszuüben: „Ich habe selbst dem IWF mitgeteilt, dass der Gesetzentwurf auch Unterstützung aus dem Regierungslager erhalten hat“, sagt Donkor, „und ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass es Auflagen bezüglich der Menschenrechtssituation von LGBTIQ+-Personen geben sollte, denn das findet sich ja auch in den Richtlinien des IWF. Da eröffnet sich tatsächlich gerade ein Weg, um die Interessen der LGBTIQ+-Community in Ghana zu vertreten. Wenn Ghanas Regierung den IWF um Geld bittet und der IWF sagt, wir können euch dieses Geld nicht geben, solange es diesen Gesetzentwurf gibt, dann ist das die richtige Art voranzugehen.“

Website IDNOWA

Donkor hatte Ende Juli als Letzter einer Vielzahl von Vertreter*innen gesellschaftlicher Gruppen die Möglichkeit vor dem zuständigen Parlamentsausschuss Stellung zu beziehen. Im Februar hatte bereits der Vorsitzende des Interreligiösen Diversity-Netzwerks für Westafrika (IDNOWA) Davis Mac-Iyalla vor dem Ausschuss eindringlich vor den Folgen des Gesetzentwurfs gewarnt. Nun befindet sich der Ausschuss hinter verschlossenen Türen in einer Prüfungsphase. „Es dringen keine Informationen nach außen und wir warten“, sagt Donkor.

Folgen der Wirtschaftskrise für die LGBTIQ+-Community: wachsende Gewalt

Gleichzeitig macht der wirtschaftliche Niedergang den queeren Communities des Landes zu schaffen. Der bei “LGBT+-Rights Ghana” für schwule Männer zuständige Halil Mohammed berichtet von einer dramatischen Zunahme an Erpressungsfällen und anti-queerer Gewalt, insbesondere von Entführungen und Diebstahlsdelikten. Die Täter, in der Regel Männer, nehmen meist über Datingportale mit den Opfern Kontakt auf.

Rightify Ghana

Entführt und bestohlen wurde im September auch ein bekannter Aktivist aus Ghanas zweitgrößter Stadt Kumasi, führendes Mitglied der Gruppe „Rightify Ghana“. Gegenüber dem Autor berichtete er, dass den Entführer viele Informationen über ihn vorlagen, darunter ein Fernsehinterview, das er „Al Jazeera“ gegeben hatte.

Der Ablauf des Angriffs ist nicht untypisch: Er erhielt einen Anruf, dass jemand missbraucht werde und Hilfe brauche. Angekommen stellte er fest, dass es sich um eine Falle handelte. Die Täter stellten Fragen zu seiner Organisation und drohten ihn zu töten und in dem Haus zu begraben, in dem sie ihn als Geisel hielten. Schließlich kam er gegen die Zahlung eines Lösegelds frei.

Wegen der steigenden vor allem antischwulen Gewalt hat „Rightify Ghana“ am 7. Oktober eine offizielle Beschwerde beim regionalen Polizeipräsidium Ashanti eingereicht, um die gewalttätige Gruppe, ihre Aktivitäten, Standorte und andere Informationen zu melden.

Der Erfolg ist zweifelhaft, denn es soll auch Fälle von weiterer Viktimisierung durch die Polizei gegeben haben, bei denen sich die Ordnungskräfte, anstatt die Entführung, den Überfall oder den Raub zu verfolgen, auf die mutmaßliche sexuelle Orientierung der Opfer konzentriert haben.

Schon die Vorstellung und Diskussion des weitreichenden Anti-LGBTIQ+-Gesetzes habe also erheblich zum Anstieg von Gewalt und Diskriminierung gegenüber der LGBTIQ+-Community in Ghana beigetragen, sagt der Aktivist von „Rightify Ghana“. Dazu gehöre auch das falsche Gerücht, das Gesetz sei bereits verabschiedet worden.

Starker Einfluss von US-Evangelikalen auf Ghanas Anti-LGBT-Akteur*innen

Wer Ghanas tragische Wende in Richtung Anti-LGBTIQ+-Extremismus verstehen will, muss den Blick Richtung radikaler evangelikaler Gruppen mit Sitz in den USA werfen. In Ghana sind die gleichen Organisationen am Werk, die 2013 für Anti-LGBTIQ+-Gesetze in Russland und 2014 für Anti-LGBTIQ+-Gesetze in Nigeria und Uganda ursächlich mitverantwortlich waren. Zuvorderst zu nennen: der „World Congress of Families“ (WCF), den das „Southern Poverty Law Center“ (SPLC) seit der Intervention in Russland als „Anti-LGBT-Hate Group“ führt.

2019 tagte der WCF in Ghana. Alex Kofi Donkor, der die Konferenz besuchte, berichtet, dass bereits damals der Versuch unternommen wurde, eine strenge Anti-LGBTIQ+-Gesetzgebung durchzusetzen. Die Gründung eines LGBTIQ+-Centers in Accra durch die Gruppe LGBT+-Rights Ghana“ und anschließende illegale Räumung waren dann willkommener Anlass, den „Gesetzentwurf zur Förderung angemessener sexueller Menschenrechte und ghanaischer Familienwerte“ im ghanaischen Parlament einzubringen.

Wie kann nun eine solidarische Weltgemeinschaft den Kampf der Aktivist*innen vor Ort sinnvoll unterstützen, ohne unwillentlich dabei neuen Schaden anzurichten? Mac-Iyalla beantwortet die Frage kurz und knapp: Nichts über uns ohne uns – „Nothing about us without us“! Allerdings lehnt Mac-Iyalla, anders als Donkor es ab, dass Geberländer oder ‑Institutionen ihre Unterstützung für Ghana an Bedingungen knüpfen sollten, mit denen in Sachen LGBTIQ+-Rechten Druck auf die Regierung Ghanas ausgeübt werden könnte. Solcher Druck habe in der Vergangenheit nicht funktioniert und vielmehr zu einem Backlash geführt. Eine wichtige Rolle weist Mac-Iyalla allerdings den westlichen Kulturinstitutionen und Botschaften zu: „Involviert LGBTIQ+ in euren Kultur- und Entwicklungsprogrammen!“, lautet seine Forderung.

Wie sieht gute Unterstützung aus? Nothing about us without us!

Einig sind sich beide darin, dass Organisationen im Globalen Süden selbst am besten wissen, was sie brauchen. Von daher sollte die Haltung der westlichen Geldgeber*innen sein: Was braucht ihr und wie können wir das am besten unterstützen?

Ein Problem sehen sie in den bürokratischen Anforderungen der westlichen Gebenden. Den Gruppen fehlten oft die Ressourcen, um sie zu erfüllen, zudem haben sie es meist mit mehreren Geber*innen zu tun, was den bürokratischen Aufwand multipliziere. „Manchmal haben wir hier das Gefühl, die Geber*innen kommen mit ihrer eigenen Agenda und wir müssen unsere Bedürfnisse nach ihrer Agenda ausrichten und nicht umgekehrt“, berichtet Donkor, „und bei anderen hast du das Gefühl, die machen sich nicht klar, in welcher Situation wir uns befinden, dass auch Aktivist*innen Grundbedürfnisse haben, die notwendig sind, um bestimmte, von den Geldgebenden gesetzten Ziele überhaupt zu erreichen. Und es kommt vor, dass die Anforderungen höher sind, als die zur Verfügung gestellten Mittel, um diese Anforderungen tatsächlich zu erreichen. Das führt zu erheblichem Druck und unterminiert die Motivation und nicht selten die Gesundheit der Aktivist*innen vor Ort.“

Mehr Vertrauen und mehr Flexibilität

Eine mögliche Lösung: Geld müsse flexibler vergeben werden. Wenn Geldgebende erst einmal eine Organisation vor Ort ausgewählt haben, in deren Arbeit sie vertrauen, dann sollten sie auch darauf vertrauen, dass die Aktivist*innen vor Ort am besten wissen, wie das Geld vernünftig ausgegeben wird. Über die projektgebundene Förderung hinaus sei deshalb institutionelle Förderung (Core Funding) für die weitere Arbeit essenziell.

Vor einem warnt Donkor: „Ich halte es für gefährlich ein Narrativ zu füttern, das sagt: Deine Unterstützung könnte kontraproduktiv sein, also mach besser nichts. Menschen sollten überall Ziele unterstützen, mit denen sie sich identifizieren. Gleichzeitig sollten sie aber immer Rücksprache mit den Menschen vor Ort halten, ob deren Bedürfnisse und Ziele mit den ihren übereinstimmen“. Unterstützung in Isolation sei in der Regel nicht zielführend. Von daher sei es am besten, sich im intersektionalen Sinn als ein „Ally“ zu verstehen.

Dirk Ludigs

Zeitleiste:

Vor 1860: Gleichgeschlechtliche Ehen finden sich bei mehreren Völkern auf dem Gebiet des heutigen Ghana, unter anderem bei den Nzema und den Nankani. Am Hof der Ashanti-Könige dienen im 18. und 19. Jahrhundert männliche Sklaven in weiblicher Kleidung als Konkubinen. Bei den Fante herrschte der Glaube, dass Menschen — egal welchen Geschlechts — mit „leichter Seele“ sich zu Männern, jene mit „schwerer Seele“ sich zu Frauen hingezogen fühlten.

1861: Homosexualität wird auf dem Gebiet des heutigen Ghana erstmals kriminalisiert. Die britische Kolonialverwaltung führt den „Offences against the Persons Act of 1861“ ein.

1957: Als erstes Land in Subsahara-Afrika befreit sich Ghana unter der Führung Kwame Nkrumahs von kolonialer Herrschaft und gewinnt am 6. März die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich.

1960: Nach einer Revision der aus der Kolonialzeit übernommenen Strafgesetze verbleibt der Section 104 im ghanaischen Strafgesetzbuch. „unnatural carnal knowledge“ wird mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft. Das Gesetz findet allerdings selten Anwendung, meist nur in Zusammenhang mit Prostitution oder Sex mit Minderjährigen.

Nach 1980: Einhergehend mit dem Kollaps der ghanaischen Wirtschaft steigt der Einfluss evangelikaler Kirchen und Erweckungsgemeinden (zumeist aus den USA) vor allem unter der jungen Bevölkerung.

Ab 1998: Erste LGBTIQ+-Gruppen gründen sich: Die GALAG (Gay and Lesbian Association of Ghana) aus der später das CEPEHRG (Center for Popular Education and Human Rights Ghana) hervorgeht. Weitere Gruppen folgen.

2011: Der Western Region Minister Paul Evans Aidoo ordnet an, alle Lesben und Schwulen der Region festzunehmen und fordert Vermieter*innen und Nachbar*innen auf, Lesben und Schwule zu melden. In der Folge kommt es überall im Land zu vermehrter Gewalt gegen LGBTIQ+-Personen.

2017: Präsident Akufo-Addo erklärt in einem Interview mit westlichen Medien, die Legalisierung von Homosexualität in Ghana sei auf Dauer unausweichlich.

2019: Im Oktober tagt der LBTIQI+-feindliche WCF in Accra

2021

31. Januar: Die Gruppe “LGBT+-Rights Ghana” eröffnet in Accra ein eigenes Zentrum.

24. Februar: Nach einem Proteststurm in den Medien räumt die Polizei das Zentrum nur vier Wochen später. Im ganzen Land steigt im Anschluss die Gewalt gegen LGBTIQ+-Personen.

20. Mai: Die Polizei in der Stadt Ho in der östlichen Volta-Region nimmt 21 Personen während eines LGBTIQ+-Workshops widerrechtlich fest.  Sie kommen nach drei Wochen wieder frei.

August 2021: Acht Parlamentarier*innen, sowohl aus der Regierungs‑, als auch der Oppositionspartei bringen den “Gesetzentwurf zur Förderung angemessener sexueller Menschenrechte und ghanaischer Familienwerte“ im Parlament ein, eines der drakonischsten Anti-LGBTIQ+ Gesetzesvorhaben weltweit. Weltweit macht die LGBTIQ+-Bewegung unter dem Hashtag #KillTheBill dagegen mobil.

Oktober 2021 bis heute: Der zuständige Parlamentsausschuss nimmt Memoranden von Vertreter*innen der ghanaischen Zivilgesellschaft entgegen, darunter auch von verschiedenen LGBTIQ+-Organisationen. Derzeit berät der Ausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit das weitere Vorgehen.

Einige wichtige LBTIQI+-Organisationen Ghanas im Überblick:

  • CEPEHRG: Älteste noch bestehende LGBTIQ+-Organisation des Landes. Hervorgegangen aus der 1998 von Prince Kweku Macdonald gegründeten „Gay and Lesbian Association of Ghana“ (GALAG).
    https://www.facebook.com/CEPEHRG/
  • HOPE ALLIANCE FOUNDATION (HAF): Gegründet 2012 mit einem Fokus auf HIV und psychische Gesundheit für sexuelle Minderheiten. Teil des Netzwerks „Alliance for Equality and Diversity“ AFED, das seit 2016 versucht, die verschiedenen Gruppen Ghanas zu bündeln.
    https://afedghana.org/membership/haf
  • WEST AFRICAN AIDS FOUNDATION: Keine LGBTIQ+-Organisation im engeren Sinn, aber als Gesundheitsversorger für die LGBTIQ+-Community von zentraler Bedeutung. Viele Aktivist*innen in Ghana fanden hier ihre erste Anlaufstelle. https://waafweb.org/
  • LGBT+-RIGHTS GHANA: 2018 von jungen Aktivist*innen zunächst als Online-Organisation gestartet. Sie gründeten 2021 das erste LGBTIQ+-Zentrum Ghanas, das nach vier Wochen von der Polizei gestürmt wurde. Schwerpunkte: Interessenvertretung, soziale Unterstützung von LGBTIQ+-Personen. https://www.lgbtrightsgh.org/
  • IDNOWA: Regionales Interreligiöses Netzwerk, 2016 gegründet, in elf westafrikanischen Ländern aktiv. Schwerpunkte: interreligiöser Dialog, regionale und globale Vernetzung, Bildungsarbeit. https://itdnowa.org/
  • RIGHTIFY GHANA: Gegründet 2020 in Kumasi, der Hauptstadt der Ashanti-Region. Schwerpunkt auf der Interessensvertretung von LGBTIQ+,  Anti-Gewalt, Sicherheit für LBTIQI+ im Netz. https://rightifyghana.org/

Ein Beitrag im Rahmen des ProjektsDo no harm – Risiken für LSBTI in der internationalen Projektarbeit minimieren“ der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Alle Artikel im Rahmen des Projekts sind im Blog unter dem Tag „DNH-2022“ zu finden.

Project website (German)

BMJ
HES


Teile diesen Beitrag: